Sie setzen sich bei der sommerlichen Hitze auch gerne mit einem Eis auf einen Marktplatz? Oder auf eine Parkbank im Schatten? Genießen Sie es! Sie sind offensichtlich sehr willkommen, um sich in den Städten so ein Plätzchen zu suchen, sich auszuruhen oder auch ein bisschen Geld in Cafés und Geschäften auszugeben.
Das gilt allerdings nicht für alle Menschen! Ganz im Gegenteil. Wer sich kein Eis kaufen kann, wer nicht als Kunde durch die Innenstädte schlendert, kann seit einiger Zeit etwas anderes erleben. Die Verwaltungen vieler Kommunen arbeiten an Konzepten, um Menschen zu vertreiben. Dann werden Sitzbänke als Einzelsitze mit Armlehnen installiert, damit Obdachlose dort nicht übernachten können. Metallspitzen und Kugeln sollen verhindern, dass sich Drogenabhängige auf Plätzen oder in Geschäftseingängen niederlassen. Um Jugendliche zu vertreiben, gibt es eigens Geräte, die nervige hohe Töne erzeugen. Erwachsene nehmen die meist nicht mehr wahr, aber zum Vertreiben von jungen Menschen haben sie sich offenbar bewährt An manchen Bahnhöfen spielt die Deutsche Bahn AG klassische Musik über Lautsprecher ab. Auch das soll verhindern, dass sich Menschen zum Betteln dorthin setzen.
Es ist eine lange Liste von Fiesheiten und Schikanen, mit denen Menschen aus unseren Städten vertrieben werden sollen. Nur „bestimmte“ Menschen natürlich, die unerwünschten. Die, die keine Kunden sind und für das Image von Städten als schädlich angesehen werden. Der Künstler Martin Binder hat sich mit dieser schäbigen Vorgehensweise, mit denen gezielt bestimmte Menschengruppen diskriminiert werden, beschäftigt. Er spricht von „hostile architecture“, von „Anti-Obdachlosen-Architektur“ oder „Feindlichem Design“.
Ich muss gestehen, ich habe mich erst nach einem Hinweis mit diesem Phänomen beschäftigt. Und ich muss immer wieder ganz bewusst auf diese kleinen Tricks in den Innenstädten achten. Denn so ganz automatisch fallen sie mir nicht auf. Sollen sie ja auch nicht. Die meisten Menschen, die als Kund*innen und Tourist*innen durch die Städte gehen, bemerken diese menschenverachtenden Dinge gar nicht. Aber gerade Obdachlosen machen sie das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon ist.
Und vor allem: Hier wird das eklatante Problem von Armut und Obdachlosigkeit in einer Wohlstandsgesellschaft dadurch bearbeitet, dass die Betroffenen vertrieben werden. Sie sollen im öffentlichen Raum nicht sichtbar sein. Man muss wohl sagen: es ist die komplette Kapitulation jeglicher Sozialpolitik. Als Christ schätze ich die biblische Praxis Jesu, die eigentlich genau entgegengesetzt ist. Jesus stellt immer wieder die Menschen in den Mittepunkt, die von anderen geächtet oder vertrieben werden. Was ein bisschen romantisch und vielleicht abgedroschen klingt, ist ein erheblicher Anspruch. Denn Jesus mutet damit seinen Mitmenschen die Konfrontation mit unbequemen Themen zu.
Vermutlich war ein Anblick dieser an den Rand Gedrängten und die Konfrontation mit ihrem Schicksal zu allen Zeiten unangenehm. Und ich bin bestimmt nicht so naiv zu meinen, dass sich die Probleme der Kommunen und Ordnungsämter, der Rettungsdienste und Sozialarbeiter*innen in diesem Feld leicht bearbeiten lassen. Bestimmt nicht. Vieles daran ist auch frustrierend und entmutigend. Aber Probleme von Menschen haben sich noch nie dadurch lösen lassen, dass die Betroffenen vertrieben werden. Einen guten Sonntag!
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
Andreas Herzig, Erzbistum Hamburg
Am Mariendom 4
20099 Hamburg
Tel.: 040 248 77 112
E-Mail: herzig@erzbistum-hamburg.de