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Die Sendung zum Nachlesen:
Als unsere Tochter klein war, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, haben wir uns abends vor dem Schlafengehen manchmal einen Spaß gemacht und Schlaflieder ziemlich albern umgedichtet. „Der Mond ist aufgegangen“ gehörte dazu. „…und aus den Wiesen steiget der weiße [N-Wort] Wumbaba“ haben wir dann gesungen, und ich sehe sie noch, wie sie sich krümmt vor Lachen. Denn einen weißen Schwarzen kann’s ja gar nicht geben. „…der weiße Nebel wunderbar“ heißt es im Original.
Heute ist unsere Tochter 21, hat großen Respekt für die „Black lives matter“-Bewegung in den USA und geht immer wieder auf Demos, wenn’s um die Rechte von Minderheiten geht. Dass man das „N-Wort“ heute meidet, ist für sie selbstverständlich. Wann wir angefangen haben, ihr davon zu erzählen, dass Schwarze in den USA unterdrückt worden sind, als Sklavinnen und Sklaven gearbeitet haben, lange um ihre Rechte kämpfen mussten und auch heute noch diskriminiert werden, das weiß ich nicht mehr so genau. Aber irgendwo auf dem Weg zwischen fünf und 21 Jahren scheint das geklappt zu heben mit der Aufklärung und der kritischen Auseinandersetzung. Die Schule hat bestimmt etwas dazu beigetragen, Nachrichten gucken, Zeitungen lesen, sich selbst für diese Themen interessieren bestimmt auch.
Vor einem Jahr hat der Ravensburger Verlag zwei Jugendbücher zu Winnetou wieder aus dem Programm genommen. Der Vorwurf: Rassismus. Die Angehörigen indigener Völker würden in den Geschichten ziemlich klischeehaft dargestellt. Es gab einen heftigen Medien-Hype. Plötzlich standen auch die Karl-May-Bücher und -Filme zur Debatte. Soll man in die Texte eingreifen, sie überarbeiten? Die Film-Klassiker überhaupt noch bereitstellen in der Mediathek? Ich weiß nicht. Von mir aus reicht es, die berühmten Bände mit einer Einführung zu versehen, die auf die Diskriminierung indigener Völker hinweist und zur kritischen Auseinandersetzung mit den vielen Klischees anregt. Wie sonst kommen Jugendliche zu einer echten Auseinandersetzung?
Bei Pipi Langstrumpf hat es den Eingriff in den Text längst gegeben. Wenn Eltern ihren Kindern daraus vorlesen, stoßen sie heute auf den „Südsee-König“, sobald die Heldin mit den roten Zöpfen von ihrem Vater erzählt. In unserer alten Ausgabe steht da noch das N-Wort.
Ich weiß, Kinderbücher sind für alle Kinder gemacht. Und wenn darin rassistische Begriffe vorkommen, verletzen sie Menschen, die heute Rassismus erfahren. Ich habe nichts gegen den Südseekönig. Und doch wünsche ich mir dann eine Anmerkung im Text, dass hier früher das N-Wort stand. In welcher Zeit Astrid Lindgren das Buch geschrieben hat, und wie verbreitet Rassismus im Alltag damals war. Irgendsoetwas. Wie sonst sollen junge Leserinnen und Leser darauf stoßen, dass Texte eine Geschichte haben. Dass sie in einen Kontext gehören. Dass auch bestimmte Ideologien ihre Zeit hatten und haben?
Nicht auszudenken, wir würden alle biblischen Texte überarbeiten, bis nichts mehr von Gewalt und Sexismus, Krieg und Unterdrückung darin vorkommt, sondern nur noch der liebe Gott. Die Reformation vor 500 Jahren, die Aufklärung im 18. Jahrhundert, die Demokratie, in der wir heute leben, all das hat unsere Sicht auf die Bibel verändert. Wir brauchen die Diskriminierung von Frauen nicht zu wiederholen, bloß weil sie in vielen biblischen Texten normal ist. Wir Menschen sind ja lernfähig. Gerade deshalb will ich weiter an den Texten arbeiten, wie sie überliefert sind. Das Alte sollte man auch in modernen Übersetzungen lesen können. Bei Pippi Langstrumpf und Winnetou genauso wie bei König David und dem Apostel Paulus. Damit wir sehen, was war. Wie Menschen vor uns geredet und gedacht haben. Damit wir uns kritisch damit auseinandersetzen. Sonst werden wir nie erwachsen.
Es gilt das gesprochene Wort.