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Die Sendung zum Nachlesen:
Es war zu teuer, um es zu kaufen. Trotzdem bin ich immer wieder in den Laden gegangen, um es mir anzusehen. Noch heute habe ich es genau vor Augen.
Die Skulptur zeigt Franz von Assisi, genauer die Geschichte, wie Franz den Wolf von Gubbio besänftigt. Franz sitzt auf der Erde, den Rücken an einen Wolf gelehnt. Er setzt sich furchtlos der Gefahr aus. Er greift nicht zur Waffe, sondern begegnet dem Raubtier mit Sanftmut. Und der hungrige Wolf, vor dem die ganze Gegend Angst hatte, bleibt auch ruhig. Ich hätte diese Figur gern auf meinen Schreibtisch gesetzt. So leben, in dieser Sanftmut, das habe ich mir oft gewünscht. Ein Bild des Friedens.
Jesus nennt die Sanftmütigen selig. Seit Russland gegen die Ukraine Krieg führt, muss ich oft daran denken. Was heißt das, in den Wolfsschluchten des Krieges, zwischen Schützenpanzern und Kanonen, sanftmütig zu sein? Geht das überhaupt?
Ich denke an die ukrainische Autorin Victoria Amelina, Sie wurde bei dem russischen Raketenangriff auf ein Restaurant in Kramatorsk schwer verletzt und starb kurz darauf. Sie war mit anderen Schriftstellern dort, sie hatten Wein getrunken, über Leben, Liebe und Krieg philosophiert. Es war ein leuchtender Abend. Vika, wie die Freunde sie nannten, hatte Kinderbücher und Romane geschrieben. Zuletzt dokumentierte sie Kriegsverbrechen. Und sie entdeckte die Lyrik, schrieb Gedichte und fand darin ihre ganz eigene Sprache. Sie habe in diesen Monaten die Geburt einer Dichterin gesehen, schreibt die ukrainisch-deutsche Autorin Katja Petrowskaja. Zwischen Schrei und Schweigen sei ihre Lyrik zur Welt gekommen. Und noch wochenlang sei ihr Vikas Madonnengesicht erschienen. Sanftmütig und entschieden zugleich.
Auch der britische Künstler Banksy fällt mir ein. Die Öffentlichkeit kennt sein Gesicht nicht, auch nicht seinen wahren Namen. Aber seine Wandbilder und Graffitis sind unverkennbar. Menschen entdecken sie oft morgens in den Armutsvierteln der Städte, auf Abrisshäusern, in Kriegsruinen. Im letzten November waren sieben neue Werke in der Ukraine zu sehen. Da sieht man, wie ein kleiner Junge Putin mit Karate zu Boden streckt. Und ein Mädchen, das auf den Trümmern einen Handstand macht. Banksy macht die Kleinen groß und die Mächtigen ganz klein.
Wie viele wird er damit ermutigt haben! Man spürt das, wenn auf der Straße über Putin gesprochen wird: Wütend und witzig. Oder wenn das Video eines kleinen Mädchens viral geht, das im Keller in der Dunkelheit singt. Tröstlich und liebevoll. Wenn Ärztinnen und Pflegende in ihrer Freizeit an die Front fahren und oft noch unter Beschuss die Verletzten versorgen und die Toten nach Hause bringen. Voller Zuwendung, wie Eltern sich um ihre Kinder kümmern.
Selig sind die Sanftmütigen, sagt die Bibel. Seit eineinhalb Jahren reden wir vor allem von Waffen, wenn es um Russlands Krieg in der Ukraine geht. Keine Frage, die sind nötig, damit das Land sich verteidigen kann. Aber über die Sanftmütigen reden wir zu wenig. Über die. die das Land zusammenhalten. Die Sanftmut wächst zwischen Schreien und Schweigen, zwischen Furcht und Wut. Mitten im Lärm von Hass und Gewalt. Es sind die Sanftmütigen, die anderen Mut machen mit ihrem Leuchten, die das Leben in seiner Verletzlichkeit lieben. Wehrlos, aber nicht lieblos.
Denen wird das Erdreich gehören, hat Jesus gesagt. Manchmal bleibt mir fast die Luft weg, wenn ich das höre und glauben soll bei all den schrecklichen Bildern und Nachrichten aus diesem Krieg. Und doch klammere ich mich daran und finde, dass man es sogar schon sehen kann. Wo die Sanftmütigen waren, leuchten Farben. Bilder erzählen Hoffnungsgeschichten. Auf Banksys Bildern werden Blumen geworfen, nicht Granaten. Freunde sitzen zusammen. Franziskus lehnt sich an den Wolf. Und für einen Augenblick leuchtet der Friede schon auf.
Es gilt das gesprochene Wort.