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Die Sendung zum Nachlesen:
Ich dachte immer, ich bin ein Mensch, der gut für sich sein kann. Aber in der Corona-Zeit hat mich die Einsamkeit erwischt.(1) Ich war viel im Homeoffice. Am Anfang hat mir das nichts ausgemacht. Ich habe mir meinen Arbeitsplatz zu Hause gut eingerichtet. Ich war froh über mein Refugium, von dem aus ich wirken konnte. Ich war in Verbindung mit der Welt per Videokonferenz, Telefonschalte, Social Media.
So nach eineinhalb Jahren hat sich die Einsamkeit eingeschlichen. Sie saß an meinem Bett vor dem Aufstehen und starrte mich in der Morgendämmerung an. Sie hockte in der Ecke, wenn ich am Schreibtisch werkelte. Sie schlich um mich herum, während ich mir in der Küche etwas zum Mittagessen machte. Sie kam sogar mit raus zum Spaziergang mit dem Hund.
Einsamkeit verursacht ein wehes Gefühl im Inneren. So als wäre da irgendwo eine Lücke. Einsamkeit lässt den Magen zusammenkrampfen. Sie macht kleinmütig, so dass man sich selbst nicht wiedererkennt. Und wenn man meint, man habe sie abgeschüttelt, kommt sie erneut hervor mit ihrem griesgrämigen Gesicht: „Du wolltest mich loswerden? Denkste - da bin ich wieder!“
Einsamkeit kann jede und jeden treffen, Ältere genauso wie Kinder und junge Erwachsene oder Menschen in der Mitte des Lebens. Sie ist kein alleiniges Problem von Alleinstehenden. Viele Singles leben höchst vergnügt und haben zahlreiche Kontakte. Gleichzeitig sind andere zu zweit einsam oder fühlen sich inmitten einer großen Familie alleingelassen.
Einsamkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Großbritannien hat deshalb 2018 ein eigenes Ministerium zur Überwindung von Einsamkeit eingerichtet.(2) Einsamkeit betrifft Millionen Menschen, aber sie spielt sich oft im Verborgenen ab. „Über Einsamkeit reden“ gehört zu den Strategien, ihr zu begegnen.
Dass ich mich getraut habe, mit anderen darüber zu sprechen, hat mir geholfen. Überrascht habe ich festgestellt: Ich bin nicht der Einzige. Anderen geht es ähnlich. Wir sind gemeinsam einsam. Es klingt paradox, aber dadurch habe ich mich weniger allein gefühlt.
Es tut außerdem gut, dass ich Worte gefunden habe, wie andere dieses Gefühl beschreiben. In einem Psalm in der Bibel betet ein Mensch so zu Gott: „Ich bin wie eine Eule in der Wüste, wie ein Käuzchen in zerstörten Städten. Ich wache und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“(3) So kann man sich fühlen: wie in die Wüste geschickt. Innerlich klein wie ein Käuzchen. Wie ein Vogel auf dem Dach weit weg von dem, wo das Leben sich abspielt.
Irgendwann habe ich gegengesteuert und wieder mehr Tage im Büro eingebaut. Da herrscht zwar nach wie vor kein Vollbetrieb wie früher. Aber man begegnet doch leibhaftigen Menschen. Allein schon auf dem Weg zur Arbeit andere Leute auf der Straße zu sehen, wirkt und lässt die Einsamkeit mit enttäuschter Miene zurück.
Man kann auch andere Gegenmaßnahmen ergreifen. Die eigenen vier Wände verlassen und rausgehen. Ideen wie „Ich könnte mal den oder die anrufen“ oder „Ich könnte mal ins Kino gehen“, diese Ideen nicht bei dem „ich könnte“ belassen, sondern es tatsächlich tun. Sich Hilfe bei anderen holen.
Ich mache mir keine Illusion: Die Einsamkeit wird immer wieder mal bei mir vorbeischauen. Dann will ich besser vorbereitet sein auf ihren Besuch und sagen können: „Liebe Einsamkeit, wir kennen uns ja schon. Du bist also mal wieder zu Gast und weißt: Gäste kommen – und gehen wieder!“
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur dieser Sendung:
- In der Corona-Zeit sind die Einsamkeits-Gefühle in Deutschland gestiegen. In einer Studie 2021 gaben rund 42 Prozent der Befragten an, einsam zu sein. BMFSFJ - Wissen zu Einsamkeit vertiefen, aufgerufen am 08.10.2023.
- Großbritannien hat künftig ein Ministerium für Einsamkeit - DER SPIEGEL, aufgerufen am 08.10.2023.
- Psalm 102,7-8.