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Sendung zum Nachlesen:
Es gibt so Sätze, die bleiben einfach hängen. Zum Beispiel der: „Ein bisschen schief hat Gott lieb.“ Den habe ich im Urlaub aufgeschnappt. Oben an der Ostsee in Schleswig-Holstein. An dem Tag machen wir einen Ausflug mit dem Schiff. Wir schreiben gerade ein paar Postkarten, da setzen sich zwei Frauen uns gegenüber, offenbar Freundinnen, vielleicht um die 60.
Ich schiebe eine Karte zu meiner Frau rüber, sie unterschreibt und klebt eine Briefmarke drauf. „Die ist aber schief“, sage ich. Darauf meint die Frau gegenüber: „En beten scheev hett Gott leev.“ Übersetzt: „Ein bisschen schief hat Gott lieb!“ Ich muss schmunzeln.
Jetzt will die andere ein Selfie von sich und ihrer Freundin machen. Sie zückt ihr Handy. „Nee, lass mal“, protestiert ihre Freundin, „ich seh‘ auf Fotos nie gut aus.“ Ich gebe mir einen Ruck: „Wie haben Sie gerade gesagt: Ein bisschen schief hat Gott lieb, oder?“ Sie lacht. „Da haben Sie auch wieder recht.“
Die beiden erzählen, dass sie oben am Leuchtturm etwas essen wollen. Da gibt’s ein kleines Restaurant, in dem arbeiten junge Leute mit Behinderung oder einer psychischen Erkrankung. In der Küche und im Service. „Die Bedienung ist immer total nett!“ Klingt gut. Und ich denke nochmal über diesen Satz nach: Ein bisschen schief hat Gott lieb. Ja, jeder Mensch ist wunderbar und liebenswert, ganz egal, welche Fähigkeiten er oder sie hat.
Inklusion, Leben mit Behinderung, das macht ab morgen die „Woche für das Leben“ zum Thema. Mit einem ökumenischen Gottesdienst und einem Begegnungsfest in Rüdesheim am Rhein wird sie eröffnet. Bundesweit laden die evangelische und katholische Kirche eine Woche lang zu Vorträgen, Diskussionen, Ausstellungen und Konzerten. Das Motto: „Generation Zukunft: Gemeinsam, verschieden, gut.“ Im Mittelpunkt steht das Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderungen. Junge Leute wie in dem kleinen Restaurant an der Ostsee.
Erwachsenwerden an sich ist ja schon eine Aufgabe: sich von den Eltern lösen, eine Ausbildung machen, vielleicht in eine erste eigene Wohnung ziehen. Für Menschen mit Behinderungen gibt es dabei eigene Hürden. Auch sie wollen ja irgendwann möglichst selbständig leben können. Wie weit sind wir mit der Inklusion in Deutschland? In dem Restaurant an der Ostsee merke ich: Inklusion hat auch etwas mit mir zu tun. Ich werde herausgeführt aus dem, was für mich vertraut und gewohnt ist. Die Lebenswelt von Jugendlichen, die eine geistige Beeinträchtigung haben oder eine psychische Erkrankung, ist mir erst mal fremd.
Maike heißt die junge Frau, die uns in dem Restaurant am Leuchtturm bedient. Sie hat Trisomie 21, das Down-Syndrom. Sie strahlt uns an. Wir müssen uns ein bisschen konzentrieren, um sie zu verstehen. „Ein bisschen schief hat Gott lieb“ geht mir wieder durch den Kopf. Für einen Moment klingt mir das zu einfach, zu leicht, zu nett. Klar ist das spannend hier in diesem Restaurant, und ich freue mich für die jungen Erwachsenen, dass sie hier selbstverständlich Teil des Teams sind.
Gleichzeitig denke ich an die Eltern von Maike, die sie schon seit Jahren begleiten und wahrscheinlich erlebt haben: Dieser Weg ist nicht nur ein bisschen schief. Da geht es auf und ab und nie einfach mal bequem geradeaus. Das ist anstrengend. Noch etwas wird mir klar: Dass wir hier sitzen, gesund und fröhlich, dass unsere Tochter ein Studium beginnen kann, völlig selbständig und ohne Hindernisse, das versteht sich nicht von selbst. Schon ein Unfall, morgen oder nächste Woche, kann alles verändern.
Die ökumenische Woche für das Leben rückt das in den Fokus. Wir leben gemeinsam, verschieden, gut. Dass Menschen mit Behinderungen selbstverständlich an der Gesellschaft teilhaben können, ist kein Akt der Nächstenliebe. Es ist ihr Recht. Für sie muss sich noch mehr verändern, und ich kann mich auch noch verändern.
Es gilt das gesprochene Wort.