Sie lebten synchron und starben gemeinsam: die Zwillinge Alice und Ellen Kessler. Ihr selbstgewählter Tod löst die Frage aus: Würde ich mir assistierten Suizid wünschen?
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"Als Entertainer-Duo eroberten sie weltweit die Bühnen und Herzen, die Zwillingsschwestern Alice und Ellen Kessler. Jetzt sind sie im Alter von 89 Jahren gemeinsam in München gestorben." (1) Gemeinsam? Ich stutze, als ich diese Meldung am Montagabend in den Nachrichten höre. Ein paar Stunden später heißt es genauer: Gemeinsam haben sie ihr Leben beendet. Sie haben dabei Hilfe von Dritten in Anspruch genommen. Es war ein sogenannter assistierter Suizid.
Mich hat der Tod der beiden nachdenklich gemacht. Ihre große Zeit war nicht meine Zeit. Trotzdem bin ich berührt, wenn ich jetzt im Rückblick sehe, wie sie tanzen und singen auf den großen Bühnen in Paris oder Los Angeles. Immer synchron. Unzertrennlich im Leben und jetzt auch im Sterben. Ich weiß nicht, wie es den beiden zuletzt ging und warum sie das für sich so entschieden haben.
Würde ich mir assistierten Suizid wünschen, wenn ich schwer krank bin oder sehr alt und lebensmüde? Ich kann es mir heute nicht vorstellen. Aber kann ich es ganz ausschließen?
Vor gut fünf Jahren hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt: Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das sei Ausdruck der persönlichen Autonomie. Diese schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür auch die Hilfe von Dritten zu suchen. Das Gericht hat Sterbehilfevereine zugelassen.
Die Hilfe eines solchen Vereins haben Alice und Ellen Kessler in Anspruch genommen. Assistierter Suizid bedeutet: Die Sterbewilligen müssen selbst zum Beispiel das tödliche Medikament einnehmen. Sie handeln eigenverantwortlich. Das hat das Bundesverfassungsgericht erlaubt. Aktive Sterbehilfe, also dass jemand einen anderen auf dessen Wunsch hin tötet, ist nach wie vor strafbar.
Seit 2020 hat der Bundestag keine neue Regelung gefunden. Leider, wie ich finde. Das Bundesverfassungsgericht hatte dazu angeregt. Der Bundestag könnte zum Beispiel eine Beratungspflicht einführen. Oder eine ärztliche Prüfung voraussetzen, ob die Person in der Lage ist, freiverantwortlich zu entscheiden.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat damals angemahnt, es dürfe nicht "zur gesellschaftlichen Normalität werden, sich das Leben zu nehmen oder anderen dabei zu helfen". Das finde ich auch. Die Gesellschaft muss vielmehr ein Leben bis zuletzt ermöglichen. Deshalb stärkt die evangelische Kirche die Suizidprävention und unterstützt die Palliativmedizin. (2)
Möchte ich irgendwann mein Leben selbst beenden? Diese Frage ist mir vor allem in der Hospizarbeit begegnet. Ich habe Sterbende begleitet, Ehrenamtliche geschult, oft mit Ärztinnen und Pflegern auf der Palliativstation gesprochen. Wenn Menschen schwerstkrank sind und aufs Sterben zugehen, ist es oft umgekehrt: Wer sich früher nicht vorstellen konnte, eine unheilbare Krankheit auszuhalten, kann jetzt die Situation annehmen, wie sie ist. Dank der Palliativmedizin können Schmerzen gelindert und Ängste gelöst werden. Alle um die Sterbenden herum sind bemüht, letzte Wünsche zu erfüllen.
"So gut wie hier ging‘s mir mein ganzes Leben nicht", hat ein schwerstkranker Mann im Hospiz mal zu mir gesagt. Die meisten, die ich im Hospiz kennengelernt habe, wollen leben bis zuletzt.
Zugleich weiß ich: Sterben ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Was der eine noch gut für sich gestalten kann, ist für die andere nicht auszuhalten. Es gibt diese Fälle, wo ein Mensch sagt: "Ich bin am Ende meiner Kraft. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr."
Die evangelischen von Bodelschwinghschen Stiftungen in Bethel haben vor gut einem Jahr für sich nachvollzogen: Sie werden in ihren Häusern nie selbst an assistierten Suiziden mitwirken. Aber sie respektieren das Recht jedes Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben. In Bethel, dieser großen diakonischen Einrichtung gilt der Leitsatz "Leben bis zuletzt" nach wie vor. (3) Und vor allem: Menschen werden nicht alleingelassen, sondern seelsorglich begleitet. In jedem Fall. Das finde ich eine starke Haltung.
Es gilt das gesprochene Wort.
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