„Die Insel ist die schönste, die Menschenaugen jemals erblickt haben“, schrieb Christoph Kolumbus in sein Bordtagebuch, als er 1492 in Kuba an Land ging. Tausende Touristen bestätigen das jedes Jahr. Zur Zeit drängen Reiseunternehmen zur Eile: „Noch schnell nach Kuba, ehe der ursprüngliche Charme dahin ist!“
Noch schnell? Schnell geht in Kuba gar nicht. Hier ist Zeit nicht Geld, sondern Leben. Aber dass sich etwas ändern muss, dass es so nicht weitergeht, spürt man in Kuba auf Schritt und Tritt. Nur was und wie und wann? Spürt die Regierung, spüren Raúl Castro und sein greiser Bruder Fidel diese Unruhe auch? Alles deutet darauf hin. Denn weiterhin ist Kritik am sozialistischen Staat verboten und wird geahndet mit Gefängnisstrafe. Und wenn am Tag der Menschenrechte die „Damen in Weiß“ friedlich auf der Straße demonstrieren wollen, werden sie sogleich polizeilich entfernt. „Unsere Souveränität ist unantastbar“, ruft der Staatschef gereizt und laut in die nahgelegene USA, die Chance und Bedrohung zugleich ist.
Es wäre nicht Kuba, wenn nicht irgendwie und überall Musik ertönte. Bei aller Unruhe und Sorge blitzt immer wieder karibische Lebensfreude auf. Guantanamera – in dem weltbekannten Evergreen sind Worte des Freiheitsdichters und – Kämpfers José Martí vertont.
Ich bin ein Mensch, aufrecht und wahr
unter Palmen bin ich zu Haus,
und ich werfe meiner Verse Schar,
eh ich sterbe, aus mir heraus.
José Martí starb, 42 Jahre jung, 1895 im Kampf gegen die Spanische Kolonialmacht und wird bis heute als der Freiheitsheld Kubas verehrt. Unzählige Statuen und Büsten bis hin zum 105 Meter hohen Turm auf dem Platz der Revolution in Havanna erinnern an ihn. Er selbst hat die Freiheit, nicht die Revolution besungen. Aber das wird heute in eins gesehen. Die Revolution von 1959 – da sind sich heute wohl alle einig in Kuba – war gut für die Menschen. Die Errungenschaften möchte man nicht in Frage stellen: kostenlose und gute Ausbildung von der Kinderkrippe bis zum Universitätsdiplom, Gesundheitsversorgung kostenfrei, Förderung sportlicher und musischer Begabungen. Nur die Freiheit, die blieb auf der Strecke, und der Traum vom Einheitslohn für alle zerplatzte. Mit dem Zerfall des Ostblocks drohte1989/90 der völlige wirtschaftliche Zusammenbruch. Jahrzehntelang hatten sich die sozialistischen Staaten mit Kubas Zucker das raue Leben versüßt.
Fidel Castro nannte die wirren Jahre, die nun folgten, die „Sonderperiode“ und forderte von seinem Volk Trotz und Zähigkeit. Die westliche Welt wartete darauf, dass das Kommunistische Experiment Kuba nun scheitern sollte. Was die seit 1960 andauernde Wirtschaftsblockade der USA nicht geschafft hatte, würde nun die Absatzkrise bringen. Als die Bauern klagten, dass sie keinen Sprit mehr für die Traktoren und keine Ersatzteile hätten, riet ihnen Fidel Castro, die Ochsengespanne wieder zu aktivieren. Bis heute versuchen die starken und heiteren Menschen in Kuba mit talentierter Phantasie sich durchzuwurschteln. Aber das reichte nicht. Die Staatsführung knickte ein oder lenkte ein und machte Kompromisse. Und darin steckt für mich der Keim einer Hoffnung für Kuba.
Seit 1992 gilt der Staat Kuba nicht mehr als atheistisch, sondern nennt sich „säkular". Das heißt, Glauben jedweder Art ist wieder erlaubt. Das gab und gibt Auftrieb für die Christen – die Kirchen wachsen wieder – und auch der weitverbreitete afrokubanische Kult der sogenannten „Santeria“ ist wieder sichtbarer.
Entscheidend aber war folgendes: Um die Bevölkerung zumindest teilweise ruhig zu stellen, erlaubte der Staat erstmals offiziell, dass kirchliche und überhaupt nichtstaatliche Organisationen Projekte in Kuba starten durften. Seitdem ist – wenn auch noch immer dosiert unter staatlicher Aufsicht – ein freier und frischer Wind nach Kuba gekommen.
Zum Beispiel mit Camaquito:
Seit 2001 arbeitet die nichtstaatliche Kinderhilfsorganisation. Ein Hoffnungsbringer in der Provinz Camagüey. Gerne erzählt der Schweizer Mark Kuster, wie er sich auf einer Spaßreise nach Kuba in die Insel und ihre fröhlichen, tapferen, starken Menschen verliebte. Er krempelte sein gesichertes Schweizer Leben um und gründete ein Projekt, das Kindern ein besseres Leben geben soll. In diesem Jahr feiert die deutsch/schweizerische Hilfsorganisation ihr 15-jähriges Bestehen. Kinder und Jugendliche fördert sie in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sport und Kultur. Das hat sich bewährt. Marode Klassenzimmer, Kliniken und Wasserleitungen werden mit Spendengeldern saniert, der Staat stellt die Arbeitskräfte dazu. Wenn sie mögen, können Kinder nach dem Schulunterricht ein Instrument erlernen, Balletttanzen probieren oder Fußball spielen – und damit Gemeinschaft erleben und Selbstvertrauen gewinnen.
Hoffnung für Kinder in der Provinz Camagüey.
Kuba hat eine anerkannte Gesundheitsversorgung. Folge: Viele Menschen werden sehr alt. Aber Alten- und Pflegeheime gibt es viel zu wenig. Kuba überaltert, viele junge Menschen sind ausgewandert oder sind als Ärzte, Lehrer oder Ingenieure vom Staat als Devisenbringer in andere Staaten entsendet worden. Die Bevölkerungszahl von 11 Millionen wird sich bei den üblichen Ein-Kind-Familien kaum halten lassen. Die Alten bleiben übrig. Wie gut, dass es Caritas Cubana gibt! In vielen Teilen des Landes fördert sie Seniorengruppen, in denen sich über die Woche alte Menschen zu Spiel und Spaß, zu ernsthaften Gesprächen, zu Halt und Hilfe gegen Einsamkeit und Armut treffen. Viele kommen mit ihrer Rente nicht über acht oder neun Euro hinaus. Das reicht für eine Woche, aber nicht zu einer täglichen Mahlzeit. Darum gibt es in vielen Seniorentreffs einen gemeinsamen Mittagstisch. Ein besonderes Projekt sind die 152 sogenannten produktiven Gruppen. Männer und Frauen tun sich zusammen und verdienen ein kleines Zubrot mit Nähen und Kunstgewerbe, je nach Fertigkeit und Kräften. Das schenkt Selbstwertgefühl – und Hoffnung für Kubas alte Menschen.
Die Sonderperiode, wie Fidel Castro die Zeit nach 1989 nannte, brachte und bringt seitdem Hoffnung auch für Kubas Landwirtschaft. Zuckerrohranbau in Monokultur – das geht nicht mehr. Die ausgebeuteten, ausgelaugten Felder, ohne den unerschwinglichen Kunstdünger bringen sie nichts mehr. Da schlägt die Geburtsstunde des ökologischen Landbaus. Das aber muss gelernt werden. Kurse und Seminare gibt es nun landesweit. Auch das Centro cristiano arbeitet in fünf Provinzen des Landes seit zwanzig Jahren erfolgreich, bildet aus und berät beim Bioanbau, verbunden mit diakonischen Einsätzen. Das ist so einleuchtend, dass Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt und der Weltgebetstag der Frauen das Centro cristiano unterstützen.
Es sind viele kleine Projekte entstanden, die nicht nur den Ackerboden neu beleben, sondern auch das Leben der Menschen. Die Finca Revelacion ist ein Beispiel dafür. Die Spuren des Hurrikans Sandy, der 2012 – noch immer unvergessen – über Kuba hinwegfegte, sind auch hier noch zu sehen. Auf der Finka aber ist der Wiederaufbau in vollem Gang. Die drei Hektar Land stellt der Staat zur Verfügung, fordert allerdings eine genaue Buchführung. Das Centro Cristiano steht dafür ein. Außer dem konsequenten Bioanbau wird alternative Energie gewonnen. Alles Neuland für kubanischen Landbau. Permakultur nennt man das. Das Hauptgewicht der Finka liegt aber auf den diakonischen Aufgaben: Schwangere Frauen und unterernährte Kinder nehmen sie auf, geben in ihrer Gemeinschaft Frauen Schutz, die vor häuslicher Gewalt geflohen sind. Frauenhäuser gibt es in Kuba nicht. In Zukunft wollen sie auch entlassene Strafgefangene in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Die Finca Revelation ist nur eines von vielen derartigen Projekten, allesamt Orte der Hoffnung.
Vengan, vengan todos, „Steht auf, steht zusammen“ , das werden am 4.März christliche Frauen rund um den Erdball in Sprachen aller Länder singen. Weltgebetstag. Christinnen aller Konfessionen in über 170 Ländern feiern miteinander Gottesdienst. Und die Liturgie dafür haben in diesem Jahr die Kubanerinnen geschrieben. „Ausgerechnet jetzt, da alles im Umbruch ist, wird die ganze Welt von uns hören und mit uns singen und beten. Ein Gottesgeschenk ist das! Das gibt uns Hoffnung“, sagen die Verfasserinnen der Liturgie und staunen, wie sich alles so zusammenfügt. „Steht zusammen!“ den Kirchenleitungen gelingt das nur selten. Die katholischen Bischöfe und der Cubanische Kirchenrat – Zusammenschluss der Protestantischen Kirchen, die ca. 10% der Christen ausmachen – haben je ihre eigenen Programme. Der Weltgebetstag aber bringt sie zusammen. Die christlichen Kubanerinnen staunen: In noch nicht einmal 20 Jahren – das vierte religiöse Großereignis: 1998 kam der polnische Papst und trotzte dem Staat den ersten Weihnachtstag ab. 2012 besuchte sie der deutsche Papst, 2015 dann Papst Franziskus. Und mit dem Weltgebetstag, so freuen sich die Christinnen, sind wir mit der ganzen Welt verbunden. Ohne Blockade! Das ist den Verfasserinnen der Liturgie ganz wichtig, ausdrücklich von „Blockade“ im Gottesdienst zu sprechen. Sie verbinden damit die Hoffnung, dass die Weltöffentlichkeit von dem Ausmaß ihrer Not erfährt und den Druck auf die USA erhöht, das Embargo aufzuheben. Darum heißt es in der Liturgie:
Wir erkennen, dass wir unsere Stimmen nicht ausreichend erheben, um Ungerechtigkeit wie die Wirtschaftsblockade, unter der das kubanische Volk seit mehr als 50 Jahren leidet, anzuklagen. Sie gefährdet besonders die Ernährung und die Gesundheit unserer Kinder.
Es geht den Christinnen in besonderer Weise um die Kinder Kubas. Sie wuchsen und wachsen in der Schule und schon im Kindergarten immer noch mit dem revolutionären Vorbild Che Guevara auf. Sein Konterfei prangt nicht nur an vielen Mauern städtischer Gebäude, auch Klassenzimmer zeigen sein berühmt gewordenes Foto mit dem Motto: „Werden wie Che“. Das soll die Kinder anhalten, tüchtig, fleißig, strebsam und tapfer wie einst der revolutionäre Weggefährte Fidel Castros zu werden. Massenhinrichtungen, die Che Guevara angeordnet hatte, bleiben unerwähnt. Gegen Unterdrückung und Gewalt aber erzählen die Christinnen in ihrem Gottesdienst die Geschichte, wie Frauen Kinder zu Jesus bringen und von ihm gesagt bekommen: Nehmt Kinder auf und ihr nehmt mich auf. So haben sie auch den Weltgebetstagsgottesdienst überschrieben. In Kuba sind es die Großmütter, die ihre Enkel zu Jesus führen wollen. Die alten Frauen haben ihre kirchlichen Wurzeln aus der Vorrevolutionszeit bewahrt, ihren Glauben durchgehalten. Ihre Kinder haben in der kommunistischen Zeit wenig davon erfahren und sich von der Kirche entfernt. Nun schlagen die Großmütter eine Brücke zu den Enkeln. Sie möchten sie mitnehmen in Gottesdienste, sie ermuntern, kirchliche Jugendgruppen und Kinderfreizeiten zu besuchen, wo sie sich wohlfühlen können, weil sie sich angenommen fühlen. Vielleicht, so die Hoffnung der Großmütter, wirkt das zurück auf die glaubensentfremdete mittlere Generation.
Hoffnung für Kuba? So habe ich auf meiner Reise immer wieder gefragt. Eine eindeutige Antwort konnte mir niemand geben. Aber viele hoffnungsvolle und Hoffnung machende Ansätze habe ich gesehen. Und erfahren: Kuba braucht Zeit, viel Zeit. Gewiss werden am Weltgebetstag die Gebete der Christinnen und Christen die Menschen in Kuba stärken auf ihrem Weg in die erhoffte Freiheit.
Musik dieser Sendung:
1) Guantanamera, José Fernández Dias, Weltgebetstag
2, 3, 4) Bodeguero, Sexteto COHIMBRE con el vabor del Caribe, Mi Fiesta
5) Vengan. vengan todos, WGT-Projektchor, Weltgebetstag
6) Steht auf / Vengan. vengan todos, WGT-Projektchor, Weltgebetstag
Literaturangaben:
1. José Martí zitiert nach: Gert Hoffmann, Kuba , S.34, Verlag C.H.Beck
2. Weltgebetstag Kuba 2016, Gottesdienstordnung Seite 9, hrsg. Deutsches Weltgebetstagskomitee e.V.