Wort zum Tage
Zerstörte Hoffnung
19.01.2016 05:23

Noomi verlässt mit ihrem Mann und zwei kleinen Söhnen ihre angestammte Heimat. Eine Hungersnot im eigenen Land und die Sorge um die Zukunft der Kinder hat sie dazu getrieben. Und so nehmen sie die Strapazen der Flucht auf sich und überwinden ihre Angst vor der Fremde. Tatsächlich haben sie es geschafft, für sich und ihre kleinen Kinder eine neue Existenz aufzubauen. So berichtet es die Bibel im Buch Ruth und lässt dem Leser kaum Zeit, sich über das Happyend von Flucht und Integration zu freuen. Denn gleich danach ist zu lesen, dass der Vater der beiden Söhne und Ernährer der Familie stirbt. Seine Frau Noomi, berichtet die Bibel mit geradezu brutaler Sachlichkeit, „bleibt mit ihren beiden Söhnen zurück“. Kein Wort wird darüber verloren, was nun in ihr vorgeht und wie es ihr gelingt, sich und ihre Kinder ohne Mann durchzubringen. Für eine Frau in der damaligen Zeit ein geradezu unmögliches Unterfangen. Zeit ihres Lebens ist sie angewiesen auf einen Mann, der sie versorgt. Entweder heiraten oder betteln – was anderes bleibt ihr nicht.

 

Auch wenn sie willens wäre und die Gelegenheit sich böte, könnte Noomi nicht wieder heiraten. Die Gesetze ihres eigenen Glaubens untersagen die Ehe mit Andersgläubigen. Aber dies lässt der Erzähler dieser biblischen Geschichte völlig unerwähnt. Vielleicht weil die Menschen, an die er sich richtet, die gesetzlichen Gegebenheiten und die Stellung der Frau allzu gut kennen. Vielleicht aber auch weil ihn an diesem Flüchtlingsschicksal weniger die gesetzliche als vielmehr die menschliche Seite interessiert. Als wäre es das Normalste von der Welt, berichtet die Bibel, dass Noomis Söhne in der neuen Heimat heiraten. Offenbar tut sich die zweite Generation leichter damit, kulturelle und religiöse Grenzen zu überwinden.

 

Auch wenn es sich so anhört – zu Ende ist die Geschichte damit noch lange nicht. Immerhin wird in der Bibel ausdrücklich erwähnt, dass es zehn Jahre sind, in denen Noomi mit ihren Söhnen und Schwiegertöchtern ein ganz normales Leben führt. Doch dann ereilt sie erneut ein schwerer Schicksalsschlag: Beide Söhne sterben. Und wie schon beim Tod ihres Mannes verrät der Erzähler nichts über die Ursachen und Begleitumstände. Für ihn zählt einzig und allein die Tatsache, dass Noomi nun ohne ihren Mann und ohne ihre beiden Söhne klarkommen muss. Noch einmal spitzt sich die Situation für sie zu: Als Frau mittleren Alters ohne Mann und ohne Söhne hat sie nichts mehr vom Leben zu erwarten. Vor allem in einer Welt, in der Frauen keine eigenen Rechte haben und zum Besitz des Mannes gezählt werden.

 

Doch wem gehört Noomi jetzt? Offensichtlich nur noch sich selbst. Gott sei Dank!

 

In anrührender Weise erzählt die Bibel in den folgenden Kapiteln des Buches Ruth die Geschichte einer Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt.

Sendungen von Pastorin Elke Drewes-Schulz