Feiertag
Reformation heute
Eine Kirchengemeinde zwischen Resignation und Herausforderung
20.03.2016 07:05

Mit über 6000 Einwohnern ist Nienhagen weder Stadt noch Dorf. Mit seiner Nähe zu Celle und Hannover ist es ein attraktiver Wohnort für Jung und Alt.

Über Jahrhunderte hinweg war man hier ganz selbstverständlich protestantisch. Mittlerweile muss es sich auch die evangelische Kirche gefallen lassen, ebenso auf dem Prüfstand zu stehen wie die katholische Kirche oder Politik und Medien.

Ich wollte genauer wissen, wie es um die Kirchengemeinde steht, der ich selber seit 15 Jahren angehöre, und habe dazu einige Mitbürgerinnen und Mitbürger befragt. Sie gehören der jungen, der mittleren und älteren Generation an, sind Kirchgänger oder sogenannte Gelegenheitschristen, sind engagiert oder stehen der Kirche gleichgültig gegenüber, befinden sich an ihrem Rand oder sind bereits ausgetreten.

 

"Ich glaube, Kirche verbinden wir immer mit etwas Altem, was uns vielleicht mehr bei unseren Großeltern begegnet als bei unseren Eltern. Wenn man sich weniger Gedanken darüber macht, bleibt es natürlich in dieser alten, klassischen Schublade, in der die Kirche auch diese klassischen Werte hat wie sonntags in die Kirche gehen und hier noch ‘n Feiertag und dort noch ‘n Feiertag. Wodurch einem dann der Zugang dazu fehlt."

 

Sagt eine 16jährige. Ob Kirche für sie und ihren Freundeskreis überhaupt ein Thema sei, will ich wissen.

 

"…eigentlich eher weniger. Vielleicht mal nach oder während des Religionsunterrichts. Höchstens mal, wenn wieder die Kirche in den Nachrichten ist. Dann sind es meistens negative Nachrichten, ja, die dann auch wieder das Bild oder die Wahrnehmung der Kirche beeinflussen."

 

Bei aller Kritik: Ihre Kirchengemeinde und speziell die Gottesdienste hat die Jugendliche trotzdem aus ihrer Konfirmandenzeit in guter Erinnerung:

 

"Ich finde, gerade bei uns in der Kirchengemeinde gab es immer sehr unterschiedliche Themen, wirklich aktuellere Themen und interessantere Geschichten. Es wurde offen gerade auch auf junge Menschen eingegangen."

 

Dass die Einstellung zu Kirche und Gottesdienstbesuch nicht unbedingt nur von den Inhalten abhängt, meint ein gelegentlicher Kirchgänger in den Siebzigern:

 

"Ja, das ist auch, denke ich, eine Altersfrage. Man hat ja in jüngeren Jahren viele Dinge, die man erst mal bewältigen muss. Wenn das so alles vorbei ist, wenn man da praktisch den Zenit überschritten hat, dann kann man sich wieder auf andere Dinge besinnen, auf die Kirche.

Ich beobachte Leute ab und zu, die ich in der Kirche treffe, die ich sonst auch nie da gesehen habe. Die einen Beruf hatten, der sie auch voll in Anspruch genommen hatte. Und jetzt sind sie Pensionäre und jetzt kommen sie wieder in die Kirche."

 

Anders als die 16jährige ist der pensionierte Schulrektor in eine protestantische Lebenshaltung hineingewachsen:

 

"Man braucht irgendwie ’ne Bindung. Und man hängt auch an den Traditionen wie Konfirmation und Beerdigung usw. Da will ich z.B. nicht drauf verzichten, weil ich meine, das gehört zum Christsein irgendwie dazu. Das liegt wahrscheinlich in der Erziehung. Mein Vater ist selten in die Kirche gegangen. Aber er hat immer wieder gesagt: ‚Ich habe einen Gott und ich habe eine Kirche.‘ Und wenn Jehovas Zeugen kamen, hat er stundenlang mit denen diskutiert. Und hat aber gesagt: ‚Ich sag euch gleich vorweg. Ich habe meinen christlichen Glauben. Und ihr könnt mich nicht überzeugen.‘"

 

Ganz andere Erfahrungen mit der Kirche hat eine Lehrerin Anfang 50, gemacht:

 

"Viele sind auch abgeschreckt durch die Kirche an sich. Also, ich weiß auch, als Kind: Ich habe immer kalte Füße und kalte Finger in der Kirche gehabt. Da war es immer kalt. Ich musste immer still sitzen. Ich durfte nicht reden. Und man darf auch nur flüstern in der Kirche. So bin ich erzogen worden. Auch als Konfirmandin in der Kirche war das auch noch so.

Der Konfirmandenunterricht an sich hat mir nicht gefallen, weil wir auch wirklich hauptsächlich Lieder auswendig lernen mussten oder aus der Bibel was vorlesen mussten."

 

Über die Kirchengemeinde ihres jetzigen Wohnorts weiß sie dagegen nur Gutes zu berichten:

 

"Aber hier in Nienhagen, als wir mit unserem Sohn in die Kirche gegangen sind, eine ganz andere Kirche kennen gelernt. Wo man laut oder normal reden konnte, wo Theater gespielt wurde, wo Musik gemacht wurde, wo mit Gitarre gespielt wurde. Das war für mich so als erwachsene Frau dann ‚boah‘. Und darum find ich es gut, was hier in Nienhagen gemacht wird, dass die Kirche sich so öffnet und sagt: Wir sind hier nicht nur in der Kirche, sondern wir haben all das noch als Angebot.

Heute weiß ich von vielen Jugendlichen zumindest hier aus Nienhagen, dass da auch ganz, ganz viel passiert. Also d. h., dass die Jugendlichen ganz viel miteinander machen, Freizeiten machen, wegfahren. Und das find ich gut. Da erleb ich das: Nehmen, Geben, das Gemeinsame.

Ansonsten: Für mich persönlich nicht. Aber ich hab mich auch nicht drum gekümmert."

 

Da kann eine Kirchengemeinde noch so gute Angebote machen, kann sich drehen und wenden, wie sie will – Menschen, die der Kirche einmal den Rücken gekehrt haben – aus welchen Gründen auch immer – sind kaum zurückzugewinnen. Oder doch?

 

"Also das, was hier in Nienhagen gemacht wird, sind schon meine Interessen, aber ich muss sagen. Ich hab’s zeitlich immer nicht geschafft, das wahrzunehmen. Ich denke, wenn ich jetzt mehr Zeit habe und nicht mehr meinen Schwerpunkt auf dem Beruf habe kann ich mir vorstellen, dass ich auch dort Möglichkeiten nutzen würde, hinzugehen. Also: Das verbinde ich jetzt nicht unbedingt mit Kirche."

 

 

"Die Angebote der Kirche wahrnehmen, weil man sie nicht unbedingt mit Kirche verbindet." – Für mich ist das nicht gerade befriedigend. Zeigt es doch, wie unglaublich schwer es ist, die Kirche von ihrem Negativ-Image zu befreien, das sie bei ganz vielen Menschen hat. So meine Beobachtung. Ihnen scheint es geradezu unangenehm zu sein, mit Kirche identifiziert zu werden. Warum? Gelten aktive Christen als hinterwäldlerisch?

 

"Ich denke, das liegt daran, dass die Kirche es immer noch nicht verstanden hat, sich so in der Öffentlichkeit zu präsentieren, dass man nicht glaubt, die Kirche sei nur für einen gewissen Klüngel gemacht.

‚Ach, das sind ja die. Die sind ja immer da. Und da habe ich nichts zu suchen.‘"

 

"Wie man das Bild von Kirche verbessern kann? Ich glaube, da nutzen keine Plakataktionen, keine Imagekampagnen. Das wird man nur vor Ort ganz beharrlich tun können. Ich glaube, das ist die Aufgabe von Kirchenvorständen, Pastorinnen und Pastoren, Kirchenleitungen zu erkennen, was vor Ort sozusagen auf der Tagesordnung steht."

 

Zu dieser Einsicht ist der langjährige Pastor der Gemeinde Nienhagen, Uwe Schmidt-Seffers, gekommen und wird darin von Harald Schilbock, einem Kirchenvorsteher, Mitte vierzig, bestärkt:

 

"Ja, wobei ich dann auch die alte Fußballerweisheit wähle: Entscheidend ist auf dem Platz. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes darum, um den eigenen Kirchturm herum Glaube, Religion und Kirche stattfinden zu lassen. Zumal wir Protestanten ja auch nicht Rom haben, auf die man schimpfen kann oder die man heranziehen kann. Sondern bei uns redet einer noch nicht einmal über Hannover. Sondern: es ist unser Kirchturm."

 

"Wir sind zufrieden, sehr zufrieden sogar, dass wir Menschen da haben, die Dinge ausprobieren wollen, die Mut haben, Neues zu machen. Ich denke, dass die Menschen, die sich in Kirchenvorständen einsetzen, ’ne große Bereitschaft auch haben, Kirche zu verändern, denn das ist häufig die Motivation, warum jüngere Leute in den Kirchenvorstand gehen, weil sie sagen: "Ich möchte mithelfen, dass wir zeitgemäß sind."

 

"Mein Sonntag, sag ich auch ganz offen, läuft anders, wenn ich vormittags im Gottesdienst war, weil ich da wirklich runterkomme, die Woche Revue passieren lassen kann und aber auch Kraft für die nächste Woche schöpfe.

Der Glaube an Gott ist sicher was höchst Persönliches, was auch jeder für sich selber praktizieren kann. Aber das Christsein zu praktizieren besteht doch eher aus der Interaktion, soziales Engagement, das Miteinander, sich austauschen, sich auch Gedanken zu machen. Es geht ja auch immer darum, seinen Glauben für sich selber zu aktualisieren. Auch das geht aus meiner Sicht nur im Austausch."

 

"Ich glaube, wir können kleine Inseln schaffen, auf denen sich Menschen begegnen können. Das kann auch ein spirituelles Angebot sein wie z.B. die Pilgergruppen, die wir in der Kirchengemeinde haben. Wo Leute auch kommen und mit einer großen Zufriedenheit hinterher sagen: "Wir haben es gar nicht für möglich gehalten, wie bereichernd es sein kann, sich so intensiv mit anderen Menschen einzulassen."

 

Harald Schilbock weiß die besondere Chancen, die eine Kirchengemeinde wie Nienhagen hat, zu schätzen und konkretisiert das Inseldasein, von dem der Pastor der Gemeinde gesprochen hat:

 

"Wir leben hier so ein bisschen auch auf der Insel der Glückseligen, denn Kirche ist an mancher Stelle auch ein kulturelles Angebot von vielen. Und konkurriert auch mit vielen anderen Terminen. Ich komme aus einem Stadtteil von Düsseldorf, wo ich auch in der Kirche mitgearbeitet habe. Aber da war die Kirche oft trotz zehnmal so großer Einwohnerzahl leerer als hier bei uns. Und es hängt auch dort mit den handelnden Personen zusammen. Und ich glaube, dass der Individualisierungsfaktor im städtischen Umfeld noch deutlich größer ist.

Religion nimmt ab, Spiritualität nimmt zu. Und es gibt ja viele Wohlstandskrankheiten, die mit ’nem festen Glauben leichter ertragen werden können; und mit ’ner gelebten Religiosität ich mir Halt, Struktur und ’nen Kompass aufbauen kann."

 

"Ich nehme bei vielen Leuten eine Sehnsucht nach Beheimatung wahr. Von Martin Walser stammt der Satz: ‚Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.‘ Und dieses Vermissen entdecke ich auch bei randständigen Leuten. Wenn man sich die Zeit nimmt und überhaupt mal zu sprechen kommt über Religion. Das ist ja sehr tabuisiert. Wo sprechen wir im Alltag überhaupt über unsere eigenen Glaubenserfahrungen, über Gebet?"

 

…fragt Pastor Uwe Schmidt-Seffers und träumt von mündigen Christen und veränderten kirchlichen Strukturen:

"Da, wo es Pastorinnen und Pastoren in den Dörfern und Städten noch gibt, da wäre es ihre Aufgabe, die Christen zu befähigen, in Sachen des Glaubens sprachfähig zu werden und die Gemeinde zu befähigen, vielleicht auch selbst einen Gottesdienst zu feiern. Also weg von dieser Betreuungskirche, die wir jetzt noch darstellen, dass wir kommen zu einer Form der Beteiligungskirche. Dass sich Christinnen und Christen trauen, ein Gebet zu sprechen, dass sie umgehen können, vielleicht, mit biblischen Texten und so auch gemeinsam basisdemokratisch Kirche zu sein."

 

Ist das traditionelle Pfarrhaus im Zentrum der Kirchengemeinde dann noch zeitgemäß?

 

"Aus meiner Sicht zeitgemäßer denn je. Weil es gegenüber der Virtualisierung der Kommunikation ja gerade ‘n Kontrastprogramm ist: Da sind Menschen und Gebäude anfassbar. Es gibt einen Ort, zu dem ich mich bewegen kann. Da sind Menschen, die sind ansprechbar. Die Pfarrhaustür, an die geklopft werden kann, um um ’ne Spende zu bitten, um das seelsorgerliche Angebot der Pastoren wahrzunehmen, das gehört für meine Begriffe in das Zentrum einer Gemeinde, eines Ortes. Also mehr denn je, um zu sagen: Hier ist Kirche. Wir sind anfassbar. Wir sind für euch da."

 

Die 16jährige Schülerin wünscht sich für die Kirche von morgen eine größere Vielfalt und ein religionsübergreifendes Miteinander in Glaubensdingen – so wie sie es jetzt schon in ihrem Religionsunterricht erlebt:

 

"Erst mal ist es immer ‘ne sehr offene Runde. Wir diskutieren viel über Dinge. Wir beschäftigen uns nicht nur mit dem christlichen Glauben, sondern auch mit anderen Glaubensrichtungen. Und wir haben auch ganz bunt gemischte Klassen mit verschiedenen Glaubensrichtungen. Und dann lernt man auch zu interpretieren: Wie gehen andere mit ihrem Glauben um? Oder: Was bewegt sie in ihrem Glauben? Dadurch dass man einfach die Möglichkeit hat, frei mit Gleichaltrigen darüber zu reden und auch durch die Lehrkraft unterstützt wird, diese Themen kreativ umzusetzen, hat man ’ne ganz neue Möglichkeit, in einem ganz anderen Umfeld sich mit dem Thema zu beschäftigen."

 

Der ehemalige Schulleiter hält viel von einem Miteinander der Religionen und findet den modernen Trend, Einsichten und Lebenshilfen auch aus anderen Religionen zu beziehen, gar nicht verwerflich:

 

"Tja, das kann man dann auch erst mal machen. Aber letzten Endes muss man wissen, wo man hingehört. Aber erst mal find ich das gar nicht so verkehrt. Ich hab sogar immer einen Satz geprägt. Auch in der Schule haben sie immer alle gelacht: Wer nicht abguckt, ist nicht bildungsfähig. Ja, aber in der heutigen Zeit sehen Sie ja gerade, wohin das führt, wenn man, wenn eine Religion sagt: Nur unsere! Alle anderen sind Ungläubige. Das ist ganz gefährlich."

 

Auch der Nienhagener Pastor sieht in dem Blick auf andere Religionen etwas alt Bekanntes und eine mögliche Bereicherung gemäß dem Motto: Ich zeige dir meine Schätze und du zeigst mir deine.

 

"Die Kirchengeschichte zeigt ja, dass das Christentum immer auch eklektisch vorgegangen ist. Es ist ja nicht so, dass durch die Jahrhunderte durch die reine Lehre durchgetragen wurde. Kirche war ja deshalb so erfolgreich, weil sie in der Lage war, Bedürfnisse, Rituale, bestimmte Festzeiten aufzunehmen und sie umzudeuten. Und das wäre die Aufgabe von Kirche, vielleicht auch sich selbst zu befragen: Was ist denn in unserer eigenen Tradition vorhanden, was Menschen z.B. im Buddhismus suchen.

Ich glaube, diese Suchbewegung des Buddhismus von vielen Menschen hat gezeigt, dass wir uns selbst befragt haben: ‚Wo haben wir denn in unserer eigenen Tradition Elemente z.B. die Nicht-Personalität Gottes auszudrücken?‘ Das scheint mir eine gegenwärtig wichtige Frage zu sein: "Ist das personale Gottesbild nach wie vor das bestimmende?" Ich glaube, nein, das ist es nicht.

Wir können da lernen – auch im Dialog mit fernöstlichen Religionen – unseren Glauben auch anders auszudrücken. Und es gibt in unserer Bibel ja auch Traditionen, die nicht vollkommen personal ausgerichtet sind."

 

"Ökumene heißt ja nicht, dass man nicht kritikfähig bleibt. Es gibt sicherlich in allen Religionen auch Dinge, die man anders sieht. Und das sollte man auch benennen dürfen, ohne gleich in eine gewisse Ecke gedrängt zu werden."

 

Seit immer mehr Flüchtlinge im Dorf leben, ist ein Austausch religiöser Überzeugungen und kultureller Gewohnheiten wichtiger denn je geworden. Zahlreiche Menschen, die in der Kirchengemeinde beheimatet sind, bemühen sich darum, den Neuankömmlingen das Eingewöhnen hier so leicht wie möglich zu machen. Sie lassen sie teilhaben an sportlichen und kulturellen Ereignissen, machen Hilfsangebote oder erteilen Deutschunterricht. Bedauernswert ist allerdings, dass die Bedingungen für ein besseres religiöses Miteinander auf muslimischer Seite noch nicht so gegeben sind, wie es wünschenswert ist.

 

"Wir haben zwar eine türkisch-islamische Moschee bei uns im Dorf. Die Imame, die von der Türkei geschickt werden, sprechen kein Deutsch. Und es fällt mir schwer, da ein theologisches Gegenüber zu finden."

 

Mir geht der Satz nach, mit dem die 16jährige Schülerin das Verhältnis ihrer Generation zur Kirche charakterisiert hat: "Ich glaube, Kirche verbinden wir immer mit etwas Altem."

Ich möchte genauer wissen, wie denn das Verhältnis alt und neu in der Kirche aussehen sollte, und bin erstaunt über die Auskunft:

 

"Ich glaube ein Kompromiss von Beidem wäre gut. Natürlich hat die Kirche ihre Werte und die bestehen ja durch die Tradition."

 

"Auf der einen Seite sollte Kirche einem schon Wurzeln geben, aber eben auch Flügel verleihen. Und Traditionen sind insoweit wichtig, um die Verfasstheit der Kirche und deren Fundament zu verstehen, aber ich muss eben, um die Menschen mitzunehmen eben auch modern werden."

 

"Wir haben als Pastoren einen Balanceakt zu vollführen zwischen dem Alten und dem Neuen. Andererseits kann ich von meiner Erfahrung sagen: Menschen sind auch dankbar, wenn Neues kommt. Menschen klatschen auch gerne und sind fast befreit, wenn gelacht wird. Da sollten wir den Leuten viel mehr zumuten, als wir denken. Der Mut zur Neuerung – wenn es liebevoll eingeführt ist, kann beides gut sein: das Alte und das Neue. Aber wir sollten keine Angst haben vor dem Neuen."

 

"Ich glaube es kommt darauf an – das hört sich jetzt ein bisschen nach Marketing- Sprache an – die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Kirche, Religion darf kein monolithischer Block sein, der sagt: So bin ich. Entweder nehmt ihr mich so oder ihr lasst es. Da muss ich die Leute da abholen. Ja, und wenn es nur das niederschwellige Zusammen- Fußball- Gucken ist oder ob es die Familienfreizeit ist. Oder ob es ein Gottesdienst zum Valentinstag ist, der sehr gut angenommen wird. Ich glaube, dann wird Religion noch anfassbarer und es passt zu den Lebensentwürfen der Menschen heute."

 

Und trotzdem treten auch hier in Nienhagen immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Warum?

 

"Nachdem die evangelische Kirche im vergangenen Jahr und vorletzten Jahr das automatische Einzugsverfahren der Kirchensteuer auf Kapitalerträge so dilettantisch durchgeführt hat, müssen wir erkennen, dass viele Menschen ausgetreten sind. Also das wird eine Motivation sein. Geld spielt immer eine Rolle. Aber daneben kommt es auch vor, dass Leute sagen: "Ich zweifle so sehr und bin so weit von Gott entfernt, dass ich mich auch von der Kirche entfernen kann oder entfernen möchte."

 

Auch das Alter spielt offenbar eine Rolle:

 

"Es gibt immer so ’ne kritische Phase so ab 16, 17, 18, wenn’s rausgeht. Wenn Kirche einfach bei vielen nicht dran ist."

 

Von der Lehrerin, die ich befragt habe, weiß ich, dass sie vor geraumer Zeit aus der Kirche ausgetreten ist. Von ihr wollte ich wissen, welche Gründe eine Freundin haben könnte, der Kirche den Rücken zuzukehren.

 

"Es könnten finanzielle Gründe sein, dass sie einen Engpass hat z. B. oder sich sagt: ‚Mensch ich war jetzt ewige Jahre nicht in der Kirche. Ich habe sonst gar nichts mit Kirche zu tun.‘ Und es wäre eigentlich Heuchelei, wenn sie weiter in der Kirche bleiben würde. Das könnten Gründe sein."

 

Kirchenaustritte lassen Kirchenvorsteher und Pastor nicht ungerührt, aber sie sind für beide kein Grund zu resignieren. Mit einem breiten Engagement Ehrenamtlicher und großem Erfolg werden gut besuchte, regelmäßige Veranstaltungen angeboten.

 

"Dort sind Menschen eingeladen, uns mit großem Geldbeutel zu unterstützen. Wir bieten dann sehr, sehr gutes und auch kulturell ansprechendes Programm, nutzen den Ertrag dieser Veranstaltungen zur Wahrnehmung unserer diakonischen Aufgaben. Gerade das kulturelle Angebot unseres Theaters spricht ganz, ganz viele kirchenferne Menschen an."

 

Und die Kirche von morgen?

 

"Vielleicht sieht sie basisdemokratischer aus. Also weg von diesen hierarchischen Strukturen, die wir in den beiden großen Volkskirchen haben. Sondern eher hin zu einer Kirche, die sich vor Ort organisiert und die bestehen kann, wenn die Menschen wollen, dass Kirche da ist. Also wenn die Kirche. Wenn das Dorf will, dass die Kirche im Dorf bleibt, dann muss das Dorf in der Kirche bleiben und Kirche gestalten."

Sendungen von Pastorin Elke Drewes-Schulz

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