Wort zum Tage
Sommerimpressionen
Vogelschiss
28.08.2018 06:20
Sendung zum Nachlesen

Ich sitze auf dem Treppenabsatz vor unserer Hütte in den Bergen, in der Hand eine dampfende Tasse Kaffee, vor mir der Blick über Almwiesen, über mir der blaue Himmel. Ein perfektes Bild wie aus einem Urlaubskatalog. Das Ferienleben ist schön und sorglos und leicht – da macht es plötzlich flatsch, und neben mir klebt: ein Häufchen Vogelschiss.  Nur     um Haaresbreite hat es mich verfehlt. Selbst schuld, denke ich: Direkt über mir in den Dachbalken hat eine Schwalbe ihr Nest gebaut. Ich blicke auf den frischen Klecks, und plötzlich ist er wieder da – der politische Alltag in der Heimat knapp 1000 Kilometer von hier entfernt. Eine empörende Äußerung des AfD-Politikers Alexander Gauland: Hitler und die Nazis seien „nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte,“ hatte der gesagt. Ein „kalkulierter Tabubruch“, urteilten Gegner und politische Experten. Ein Vogelschiss, denke ich – nicht knapp vorbei, sondern mitten rein ins Herz. Eine Ohrfeige für die Opfer,  ein Hohn für die, die sich der Geschichte der Nazizeit kritisch und schmerzhaft auseinandersetzen. Ich erinnere mich an schockierende Bilder und Filmausschnitte im Geschichtsunterricht und an Gespräche mit den eigenen Großeltern über diese Zeit. An vorsichtiges Fragen und Verstummen. Es waren Gespräche, die schwer waren für beide Seiten und trotzdem wichtig. In Berlin, meiner Heimatstadt, begegnet man an jeder Ecke den Spuren dieser Zeit, stolpert über Steine, die die Namen der Deportierten und Ermordeten im Gedächtnis halten. Der „Vogelschiss“ – er lässt sich auch im Urlaub nicht einfach wegwischen. Ich bin in Österreich. Braunau ist nicht weit, wo Hitler geboren wurde. Im benachbarten Salzburg finde ich mich nach Mozartmuseum und Getreidegasse plötzlich vor einer Gedenktafel wieder: Die Räume des ehemaligen  Augustinerklosters waren damals von der Gestapo zu einem Folterkeller umfunktioniert worden. Kaum ein Ort hier in den Bergen, an dem nicht der Gefallenen und Vermissten des 2. Weltkrieges gedacht wird. Auf einer dieser Tafeln lese ich: „Ihr Opfer darf nicht umsonst gewesen sein! Halte inne, und gedenke der Toten, und tue das Deine, damit nie wieder Krieg wird!

Für einen Moment wünsche ich mir Alexander Gauland her und all die anderen, die meinen, dass endlich Schluss sein möge mit der ewigen Erinnerung an diesen Teil unserer deutschen Geschichte. Ich verlasse die Kirche und trete hinaus in die Sonne. Ein herrlicher Urlaubstag: Menschen spazieren über den Platz, Kinder plantschen im Brunnen. Ein Pärchen hält Händchen. Es herrscht Frieden. Keiner muss in den Krieg. Was für ein Geschenk! Das soll so bleiben. Und jeder von uns kann das Seine dafür tun.