Herzenzeit
von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
08.01.2024 06:20
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen

Auch wenn ich ein Mädchen bin, ich stehe eigentlich nicht auf rote Herzen. Sie sind überall, es sind zu viele: auf Tassen und Pyjamas, Brötchen und Bettwäsche, auf dem Kaffeeschaum und der Häuserwand. Es gibt sie als Sticker und Emojis, Schmuckanhänger und in Kussmundform. Ein Symbol, das überstrapaziert ist. Und wie bei allem, von dem man zu viel bekommt: Man kann es irgendwann nicht mehr sehen. Doch in diesem Jahr ist alles anders: Ich kann gar nicht genug von Herzen bekommen. Schon im Dezember habe ich großzügig überall in unserer Wohnung Herzen-Postkarten verteilt. Ein Kollege von mir hat sie kreiert. Sie hängen an Kühlschrank und Pinnwand, dienen als Lesezeichen und als Mitbringsel bei jedem Neujahrsbesuch. Die roten Herzen rahmen die neue Jahreslosung. Die stammt aus dem 1. Korintherbrief und klingt selber wie ein einziges dickes rotes Herz: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!

Ach ja, denke ich: Ich habe tatsächlich viel zu wenig Herzen gehabt im letzten Jahr. Es war anstrengend und deprimierend. Es war frustrierend und schockierend in vielem. Dazu passt auch das Unwort des Jahres 2023: Krisenmodus. Gebetsmühlenartig werden sie überall wiederholt: Kriege und Krisen, Ängste und Sorgen - sie sind uns leider bis ins neue Jahr gefolgt. Da braucht es starke Gegensymbole: rote Herzen statt Hass, Liebe statt Krieg, Herzklopfen statt Herzrasen.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! Nicht jede Jahreslosung überzeugt mich, diese schon. Sie kommt genau zur rechten Zeit. Ja, das neue Jahr darf gerne etwas kitschig sein, wenn es nach mir ginge: mit viel Gefühl und 1000 Küssen und Umarmungen statt Brutalität und Machtgehabe. Mit Großzügigkeit statt Gnadenlosigkeit und Schwärmerei statt Rechthaberei. Mit hoffnungsloser Verliebtheit anstatt Gleichgültigkeit. Gemeinsam Luftschlösser bauen statt an der Zukunft zu verzweifeln. Klingt naiv? Auch da trifft die Jahreslosung ins Schwarze, weil sie zu ahnen scheint, dass das alles nicht so ohne weiters zu schaffen sein wird. Sie spricht davon, dass es geschehe:  Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!

Was immer wir tun, wie sehr wir uns um Liebe bemühen – es braucht dazu immer noch mehr. Und so steht am Beginn des Jahres auch eine Bitte – ein Gebet: dass Liebe geschehen möge da, wo es mir nicht gelingt. Ein Gebet mit lauter Herzen hängt da an meiner Kühlschranktür. Es möge Wärme schenken und Herzen öffnen und gerne auch einen Hauch Glitter und Kitsch in die grauen Januartage streuen. Ich kann gar nicht genug davon kriegen. 

Es gilt das gesprochene Wort.