Stammtisch
von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
01.12.2023 06:20
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen

Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen. Sie ist wirklich passiert. Sie hat mich berührt. Ihr Ende ist offen. Ich bin noch auf der Suche nach einem passenden Schluss. Es ist noch nicht klar, ob sie gut ausgeht. Sie beginnt wie ein Märchen:

Es war einmal ein Tisch. Jeden Abend versammelten sich Menschen daran. Sie tranken dort ihr Feierabendbier, die meisten wollten einfach mal abschalten. Manche hatten keine Arbeit oder waren schon in Rente. Ein Feierabendbier gab‘s trotzdem - als Zeichen, weiter dazuzugehören. Einige kamen zum Reden, andere tranken nur still ihr Pils oder Hefeweizen. Manchmal wurde es laut, dann schwappte das Bier über.

Eines Tages hatte der Tisch keine Lust mehr, in der Kneipe zu stehen. Er wollte raus: Er hasste die klebrigen Bierreste und die Zigarettenasche, die ihm sein schönes Holz verbrannte. Er mochte keinen Qualm und kein Gegröle mehr. Er wollte einmal in gepflegter Umgebung stehen. Also machte er sich davon in der Nacht, als der letzte Gast gegangen und der Wirt längst im Bett war.

Eines Tages stand er bei mir. Ich erkannte ihn zuerst nicht. Ein Tischtuch verdeckte die Brandlöcher. Statt Bier standen Weingläser auf dem Tisch. Eine Runde unter Freunden. Ein Akademikerstammtisch. Ich weiß nicht, welches Wort der Auslöser war: AfD oder Asylpolitik oder der Osten, der sich abgehängt fühlt - jedenfalls kippte plötzlich die Stimmung. Der Tonfall änderte sich. Er wurde laut, aggressiv und unerbittlich. Einige hatten schon zu viel getrunken. Es fielen Sätze wie Das wird man doch noch sagen dürfen! Dann muss man eben das Grundgesetz ändern! Nicht alles, was die AfD sagt, sei schließlich schlecht. Die einen versuchten zu argumentieren, die anderen schwiegen betreten – ich auch. Einer begann zu brüllen. Das Glas fiel um. Eine rote Pfütze breitete sich auf dem Tischtuch aus. An dem Abend ist etwas zerbrochen, das bis heute auf Heilung wartet.

Was hätte ich sagen sollen? Was ist jetzt zu sagen? Wir sind doch Freunde. Wir leben doch alle miteinander in diesem Land. Im nächsten Jahr wird in Thüringen, Sachsen und auch in meinem Nachbar-Bundesland Brandenburg gewählt. In Wahlumfragen liegt die AfD in Thüringen bei 34 Prozent.   

Ein Glas Wein, ein Stück Brot, ein Tisch ruft uns in die Gemeinschaft. Ich bin immer noch auf der Suche nach einem guten Ende der Geschichte. Irgendetwas wie "Und wenn sie nicht gestorben sind…" Ich suche nach Wegen und bete dafür: HERR, mache mich zum Werkzeug deines Friedens! Gib uns deinen Frieden! 

Es gilt das gesprochene Wort.