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Historisch
So vieles wird schnell "historisch" genannt. Was meint das Wort eigentlich?
01.10.2024 06:20

Beim Nachrichtenschauen schließt unsere Autorin Barbara Manterfeld-Wormit Wetten ab, wann wieder etwas als historisch bezeichnet wird. Sie ist auf die Suche nach dem Sinn des Wortes gegangen. 

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Manche Worte sind kostbar. Man soll sie nur in den Mund nehmen, wenn sie stimmen und man sie ernst meint. Liebe ist so ein Wort oder Gott. Im Hebräischen wird der Gottesname darum gar nicht erst ausgesprochen, sondern umschrieben, weil er zu hoch und zu kostbar ist.
Ziemlich vorschnell in den Mund genommen wird dagegen gerade das Wort historisch. Ich höre es ständig. Der zurückliegende September war historisch, sagt die Meteorologin beim Wetterbericht, weil er im globalen Durchschnitt der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen war. Die Wahlsiege der AfD bei den Landtagswahlen waren historisch - genau wie die Wahlbeteiligung. Weltrekorde und sportliche Siege sind sowieso ganz oft historisch. So oft höre ich das Modewort, dass ich jetzt abends auf dem Sofa beim Nachrichtengucken gern Wetten mit meinem Partner abschließe, wenn ich meine, gleich ist es wieder soweit, gleich kommt es – fast immer habe ich recht.
Drum schaue ich es mir einmal näher an, dieses eine Wort, und drehe und wende es ein bisschen hin und her, weil ich wissen will: Was meinen wir eigentlich, wenn wir historisch sagen? Da gibt es ja Unterschiede: Beim Wetterphänomen meint es so etwas wie nie dagewesen, beim Fußballsieg dagegen eher unfassbar. Als Berliner Kind denke ich bei historisch aber doch eher an Ereignisse wie Mauerbau und Mauerfall – in diesem Jahr bald 35 Jahre her. Dann bezeichnet historisch einen besonderen Einschnitt, der das Weltgeschehen verändert. Ein Ereignis, das nicht bloß Einzelne, sondern eine ganze Gemeinschaft prägt. Ein Datum, das einen Eintrag in die Geschichtsbücher verdient. Manchmal bedeutet das Adjektiv historisch aber auch schlicht alt im Sinne von lange, lange her - wie ein alter Spielfilm oder ein Song aus der 80ern. 
Da stehe ich also vor dem kleinen Wort, das so Großes meint, und fühle mich selber schrumpfen dabei. Denn historisch bin ich ganz gewiss nicht: Zu Asche und Staub werde ich eines Tages und die Erinnerung an das, was ich war und Anderen bedeutet habe, wird irgendwann verschwunden sein. 
So ist es auch mit vielen Ereignissen: Mit den Jahren verlieren sie an Bedeutung. Offen gesagt gilt das wohl für die meisten Dinge und Errungenschaften, die zu schnell das Prädikat historisch verliehen bekommen: Sie erweisen sich bei genauerer Betrachtung als zu klein und relativ für das große Wort. 
Historisch meint nämlich auch, den eigenen, begrenzten Horizont zu überschreiten, Dinge einzuordnen. Das, was uns jetzt beschäftigt, begeistert oder ängstigt, in Beziehung zu setzen zu dem, was einmal war und später vielleicht sein wird. Das macht demütig und nimmt etwas Dampf aus unseren aufgeregten Tagen. Wie diese Umschreibung für Gott, von dem es heißt, dass er der ist, der da war und der da ist und der da sein wird.
Es gilt das gesprochene Wort.

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