Erntedank ist beliebt – selbst in der Stadt, wo die wenigsten selbst ernten. Zu Erntedank gehört ein großes Danke an Bauern und Landwirtinnen.
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Einmal im Jahr begeistern sich Städter wie ich so richtig für die Landwirtschaft: wenn Erntedankfest ist. Dann wird gefeiert, und das nimmt manchmal komische Züge an. Jedenfalls denke ich das, wenn ich mir vorstelle, wie wohl eine echte Landwirtin aus Niedersachsen oder ein Hopfenbauer der Hallertau auf die Spektakel blicken würde: Wenn in Berlin Tausende mit Kind und Kegel auf Schaubauernhöfe pilgern, um ihren Kindern das Landleben zu erklären. Sie stehen für zwei Euro pro Nase geduldig Schlange, um Trecker zu fahren. Sie graben mit eigenen Händen stolz ein paar mickrige Kartoffeln aus der Erde.
Auf den Feldern sind Schilder neben den Beeten aufgestellt, weil die wenigsten noch wissen, was da eigentlich aus der Erde wächst. Also steht da Rotkohl neben Weißkohl, obwohl man‘s eigentlich schon anhand der Pflanzenfarben erkennt - und Mangold neben Blumenkohl. Am Ende wird an Buden gespeist für teuer Geld: Biowurst und Apfelschorle für die Kleinen, die dabei eingezäunte Schafe bestaunen dürfen und Iiih! vor dem stinkenden Misthaufen sagen.
Das ist Erntedank in Berlin. Und weil sich in so einer Stadt vieles vom Ursprung entfremdet hat über die Jahre, bedarf es noch deutlicherer Signale. Wie im letzten Winter bei den Bauernprotesten, als die Berlinerinnen und Berliner in den frühen Morgenstunden von ratternden Traktoren aus dem Schlaf gerissen und die wütenden Landwirtinnen und Landwirte stundenlang Straßenkreuzungen blockiert haben. Verrutschte Landidylle für einen Moment.
Mehr Dankbarkeit – nicht nur gegenüber Gott und seiner Schöpfung für die Ernte jetzt im Herbst, sondern auch gegenüber den Menschen, die ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft verdienen unter schweren Bedingungen, oft mühsam und entnervt vom Konkurrenzdruck und Bürokratie. Mehr Dankbarkeit für die, ohne die wir alle alt aussähen. Auch darum geht es morgen am Erntedanksonntag in den Kirchen unseres Landes. Und überhaupt: um DANKBARKEIT. Sie will ich in den Blick nehmen heute und bete so:
Gott, für Wolken, Wind und Weite, Sonne und Regen, Äpfel und Korn danke ich in meiner Ahnungslosigkeit und Unbekümmertheit als Städterin, die die Äpfel nicht vom Baum pflückt, sondern als Sonderangebot aus dem Regal nimmt.
Um einen wachen Blick dafür, wie andere Menschen arbeiten und ihr Brot verdienen, bitte ich dich. Um mehr Verständnis und um Zuversicht, dass du das Deine dazutust, wo wir Menschen nicht weiter vorankommen trotz aller Bemühungen.
Um einen dankbaren Blick für alles, womit du uns satt machst – unbemerkt oft: durch einen Kuss so unverhofft oder ein Lächeln ganz unverdient. Durch Freude am Leben – einfach so. Durch diesen Tag, der mir gerade in den Schoß fällt.
Es gilt das gesprochene Wort.