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Manchmal bin ich fassungslos. Auf der Straße läuft ein junger Mann vor mir. Er hat sein Baby im Tragetuch vor dem Bauch. Aus dem Tuch kommen Geräusche. Nicht vom Baby, sondern vom Smartphone. Das ist direkt auf Höhe der Babyohren im Tragetuch platziert – es flimmern Bilder. Zur Unterhaltung oder Beruhigung. Mich hat das beunruhigt. Jetzt, dachte ich, hat die Technik endgültig von uns Besitz ergriffen: Digitalisierung im Tragetuch. Mobile Technik statt Kuscheln und Zärtlichkeit.
Ich selber versuche gerade abstinent zu sein. Mails und Soziale Netzwerke nur zu bestimmten Zeiten, nicht aus Langeweile zwischendurch. Das Smartphone vergrabe ich ganz unten in meinem Rucksack statt jederzeit griffbereit in der Manteltasche. Das Ergebnis: Ich bin erschrocken, wie oft ich unwillkürlich danach greifen will. Vielen Menschen geht das so. Fast jeder zückt sein Smartphone, sobald er in Bus oder Bahn steigt. Es ist, als wären wir fremdgesteuert.
Vor kurzem war ich spazieren am Stettiner Haff an der Ostsee. Da oben gibt es kaum Netz, dafür herrlich klare Luft, Wind und Weite. Man kann laufen, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen. Der Weg führte an frisch gepflügten Feldern vorbei. Die Erde duftete. Ich weiß nicht warum, plötzlich überfiel mich eine kindliche Lust, die Hände hinein zu graben. Niemand schaute zu, also ging ich in die Hocke und nahm eine Handvoll Erde. Sie war dunkel und feucht und ließ sich formen wie Ton. Es war ein Wahnsinnsgefühl. Und während ich da stand und die Erde knetete, begriff ich zum ersten Mal, was die Schöpfungserzählung in der Bibel meint, die ja fast wie ein Märchen klingt, ein Mythos aus ganz ferner Zeit. Dort heißt es: „Und Gott der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase…“ (Genesis 2,7) Bei einer christlichen Beerdigung wird an diese Worte angeknüpft mit der Formel: Von Erde bist du genommen und zur Erde kehrst du zurück…
Erde vom Acker – sie erinnert an unsere Geschöpflichkeit und daran, wie gut sie sich anfühlen kann: wie unmittelbar, wie sinnlich, wie beruhigend - wie geerdet im wahrsten Sinne des Wortes. Plötzlich entsteht wieder Raum für Kreativität.
Fast hätte ich den Erdenkloß eingesteckt in meine Manteltasche. Doch er hätte schnell den Zauber verloren und wäre mir unter den Händen zerkrümelt. Aber diesen Moment habe ich im Gedächtnis behalten und möchte ihn heute Morgen mit Ihnen teilen. Damit wir bei aller Digitalisierung nicht vergessen, Mensch zu bleiben.
Es gilt das gesprochene Wort.