Bundeswehr / Torsten Kraatz/Torsten Kraatz
Traurig, Beschämt, Verärgert
Gedanken zur Woche mit Matthias Viertel
20.08.2021 06:35
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Die Meldungen dieser Woche aus Afghanistan haben bei mir heftige Reaktionen ausgelöst. Die Machtübernahme der Taliban, die Bilder von Menschen, die sich vor den Terroristen in Sicherheit bringen wollten, das Chaos am Flughafen in Kabul… zuerst war ich traurig, dann beschämt und auch verärgert.

Traurig, weil der engagierte Einsatz internationaler Kräfte, die Menschen in diesem umkämpften Land zu versöhnen, gescheitert ist. Es macht mich traurig, dass ein mit Hoffnung versehener Weg der Friedenssicherung durch eine Terrororganisation beendet wird, die seit langem wegen ihrer Brutalität gefürchtet wird.

Beschämt fühle ich mich, weil mit einem Schlag deutlich wird, wie alle Bemühungen auch der Bundesrepublik umsonst waren. Alle Versuche, die Zivilgesellschaft so zu stärken, dass sie eine Chance gegen den Terror hat, scheinen erfolglos. Beschämt, weil ich mich frage, ob wir genug getan haben, ob wir nicht zu viel sondern zu wenig dort waren, wo Hilfe gebraucht wurde.

Und verärgert bin ich, weil nach dem desolaten Abzug aller Truppen ein Chaos zurückbleibt. Diese Entwicklung hätte absehbar sein müssen. Nicht zuletzt die deutsche Botschaft in Kabul hat davor gewarnt (1), was nach dem Rückzug des Westens geschehen würde. Ein Freibrief nicht nur für die Taliban sondern möglicherweise für Terrorregime in der ganzen Welt.

Traurigkeit, Scham und Ärger mischen sich angesichts der Lage in Afghanistan. Aber sie stehen für eine Hoffnung. Der Einsatz gegen die die menschenverachtende Politik der Fundamentalisten darf nicht vergeblich sein, das Gefühl der Ohnmacht darf sich nicht breit machen.

Seit langem gab es schon die Stimmen, die meinten, nichts in Afghanistan sei gut. Und deutsche Soldaten wären besser niemals in das Land entsandt worden. Meiner Meinung nach ist das zu kurz gegriffen. Sollte es wirklich besser gewesen sein, der Westen hätte sich von Anfang an herausgehalten? Wäre niemals in dem Land am Hindukusch interveniert und hätte die Terroristen frei gewähren lassen? Zwanzig Jahre dauerte das Engagement des Westens. Das hat offenbar nicht zum erhofften Ergebnis geführt. Aber es hat immerhin in dieser Zeit den Frauen im Land eine Erleichterung des Lebens gebracht, ihnen zumindest einige Rechte zugesprochen. Es hat Mädchen ermöglicht in die Schule zu gehen, eine Berufsausbildung zu erhalten. Es hat Minderheiten geschützt, religiöse wie soziale. Es hat humanitäre Hilfe ermöglicht und vielen NGOs die nötige Sicherheit gegeben, um vor Ort arbeiten zu können. Dass das alles jetzt mit einem Schlag zunichte scheint, zeigt: Es war eben nicht alles schlecht in Afghanistan.

Zu meiner Überzeugung als Christ gehört es, Krieg niemals als gut und auch nicht als gerecht zu empfinden. Zugleich weiß ich aber auch, dass es nicht besser ist, sich fernzuhalten und wegzuschauen, wenn Menschen von Terroristen unterjocht werden. Afghanistan ist Ausdruck dieses moralischen Dilemmas, aus dem es kein Entrinnen gibt: Soldaten in ein anderes Land zu senden, ist ein kriegerischer Akt, der unweigerlich mit Schuld verbunden bleibt. Sich einfach zurückzuziehen und die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen, verschiebt nur die Schuld, macht aber nicht frei davon. Nein, es war nicht alles schlecht in Afghanistan. Die große Zahl an Menschen, die nun aus dem Land flüchten wollen, zeigt deutlich, wie groß Ihre Hoffnung auf Veränderung war.

Für Christen sollte es selbstverständlich sein, für Menschenrechte einzutreten und, wenn nötig, sich dem Terror entgegenzustellen. Auch wenn das in Afghanistan nun gescheitert sein soll, ist es immer noch besser als mit der Schuld zu leben, die Not der Menschen in Afghanistan gar nicht beachtet zu haben. So jedenfalls verstehe ich den Auftrag zur Nächstenliebe. Jetzt sollte er nach neuen Wegen suchen lassen, der Not der Menschen in Afghanistan nicht tatenlos zuzusehen.

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Es gilt das gesprochene Wort.

 

(1) https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_90634576/afghanistan-botschaft-in-kabul-warnte-schon-laenger-vor-gefaehrdung-.html