Gemeinfrei via unsplash/ Suhyeon Choi
Vorgeburtliche Bluttests
Gedanken zur Woche von Pfarrer Jörg Machel
10.05.2024 06:35
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen:

Wieder einmal geht es um Geld, wenn der Bundestag über die vorgeburtlichen Bluttests auf ein Down-Syndrom berät. Einen Antrag dazu hat der Bundestag derzeit in seine Ausschüsse zur Diskussion verwiesen. Es geht um die Frage: Ist es ethisch vertretbar, dass die Krankenkasse die Kosten für eine Untersuchung übernimmt, die den Eltern schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit Auskunft gibt, ob ihr Kind mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird?

Und schon scheiden sich die Geister, auch in der Gesellschaft. Einige lehnen den Test rigoros ab, weil sie vermuten, dass die Hybris des perfekten Menschen dahintersteht. Andere finden es geradezu unverantwortlich, ihn zu verweigern, reden über eigene Ängste und die gesellschaftlichen Folgekosten einer Behinderung.

Als wir unsere Tochter in den 90er Jahren erwarteten, hat uns unser Arzt Trisomie 21, also das Down-Syndrom wie einen unbedingt zu vermeidenden Schicksalsschlag geschildert. In der 22. Schwangerschaftswoche stand der Mediziner mit einer großen Kanüle vor uns und wollte meiner Frau Fruchtwasser entnehmen, damit wir uns ganz sicher sein können. Ordnungshalber wies er auf das Risiko hin, dass die Untersuchung zu einem Schwangerschaftsabbruch führen könne, und wollte ans Werk gehen. Mit den Augen verständigten wir uns und es war klar: Das wollen wir nicht. Seit Monaten lebten wir mit unserem ungeborenen Kind. Es gehörte zu uns, und „letzte Sicherheit“ gibt es ohnehin nicht. Wir hatten uns entschieden, blieben aber verunsichert. Auch gab es keinen Menschen mit Down-Syndrom in unserem Bekanntenkreis. 

Inzwischen wissen wir mehr. Unsere Tochter, die gesund zur Welt kam, ging später in eine Inklusionsklasse mit zwei Kindern, die einen besonderen Betreuungsschlüssel hatten und die gesamte Schulzeit einfach dazugehörten.

Wir haben das Thikwa Theater in Berlin kennengelernt. Thikwa ist Hebräisch und bedeutet Hoffnung. Hier spielen Künstler mit und ohne Behinderung gemeinsam Theater. Wir sind jedes Mal fasziniert und begeistert. Sie arbeiten mit ihren persönlichen Eigenarten und entwickeln neue Ausdrucksformen auf der Bühne.

Damit ein solches Theater, damit eine Inklusionsklasse funktioniert, braucht es viel Geld. Ein Kind mit Beeinträchtigungen großzuziehen, das kostet. Es kann Eltern ermutigen, sich auf ein Kind mit seiner Eigenart zu freuen, wenn Kita, Schule, Arbeitswelt die Inklusion nicht nur plakatieren, sondern praktizieren. Wenn diese Familien kein Armutsrisiko fürchten müssen. Der Mut zum Kind ist nicht nur eine Frage der Ethik. Es ist auch eine Frage der materiellen Absicherung.

Eine schwangere Frau kam zu mir ins Büro der Kirchengemeinde, weil es hinten und vorn nicht reichte. Trotz ihrer finanziell prekären Lage hatte sie sich für ein Kind entschieden. Bei einer Hilfsorganisation, die sich gegen Abtreibung engagiert und Unterstützung für Schwangere verspricht, hatte sie eine Abfuhr bekommen. Sie komme zu spät, sagte man ihr. Hilfe gibt es nur, solange ein regulärer Schwangerschaftsabbruch möglich sei. Sie aber stehe ja schon kurz vor der Geburt. Unsere Kirchengemeinde hat dann Unterstützer gefunden. Aber der Zynismus, der sich in der Haltung dieser Hilfsorganisation ausdrückte, ist mir im Gedächtnis geblieben.

Es zeugt für mich von der gleichen Gefühllosigkeit, ausgerechnet denen die pränatale Untersuchung zu verweigern, die knapp bei Kasse sind. Ob Mütter und Väter sich für oder gegen ein Kind entscheiden, darüber haben wir weder moralisch noch juristisch zu urteilen. Wir haben ihnen beizustehen, ohne Wenn und Aber.

Es gilt das gesprochene Wort.