Spurensuche
Die Vergangenheit prägt uns
10.11.2018 09:00

 

Wendepunkte der Geschichte

Schicksalstag für Deutschland. So nennen Historiker den 9. November.  An diesem Tag fanden einige besondere Ereignisse statt. Und dieses Jahr rücken sie  besonders ins Bewusstsein. Zum 80. Mal jährt sich die Reichspogromnacht, als die Diskriminierung jüdischer Mitbürger umschlug in offene Verfolgung. Zum 100. Mal jährt sich die Ausrufung einer deutschen Republik. Und im kommenden Jahr wird es 30 Jahre her sein, seit am 9. November die Mauer fiel und damit das Ende der Gewaltherrschaft im Namen des Sozialismus einläutete.

Solche Ereignisse sind alles andere als Geschichte und nur noch an Gedenktagen einer Betrachtung wert. Die Vergangenheit ist alles andere als vergangen. Die Vergangenheit wirkt untergründig weiter, sogar in den Biografien der Nachgeborenen. Das gilt vor allem für die Schrecken: „Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden“, so sieht es die Bibel (Hesekiel 18,2)

In  kleinen Begebenheiten zeigt sich, oft aus heiterem Himmel, dass längst vergangen geglaubte Geschichte gegenwärtig ist.

 

„Wie im KZ“

Ein Sohn baut für seine altgewordenen Eltern ein Haus, barrierefrei und altersgerecht. Nun steht der Umzug an. Für den Sohn ist es selbstverständlich, vorher noch einen Zaun um das Grundstück zu ziehen. Die Mutter, Jahrgang 43, will dies um keinen Preis: „Da fühle ich mich ja wie im KZ!“, schreit sie sichtbar erregt. Der Sohn ist sprachlos. Was ist nur plötzlich in seine Mutter gefahren? In der Familie seiner Mutter wurde seines Wissens niemand rassisch verfolgt. Im Gegenteil, über die Zeit des Nationalsozialismus wurde wie in vielen Familien geschwiegen. Dennoch muss sie eine grauenhafte Ahnung davon bewahrt haben, was Menschen anderen Menschen antun können. Nun ist sie alt und es fällt schwerer, böse Erfahrungen wie bisher unter der Decke zu halten. Zusätzlich belastet sie der bevorstehende Umzug, der Verlust ihrer gewohnten Umgebung. So wird ein harmloser Zaun zur Bedrohung und löst eine Panikattacke aus. Auf einmal wird klar: Die Vergangenheit ist weder vergangen noch vergessen. Den berühmten „Schlussstrich“ hat diese alte Dame nie wirklich ziehen können, obwohl sie es vermutlich gewollt hat. Sie ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: Studien an den Kindern von Holocaustüberlebenden und auch an den Kindern der Täter haben gezeigt, dass die Schrecken von Generation zu Generation weiter gegeben werden, sogar bis in das Erbgut hinein.

Ist der Schrecken also ein Teufelskreis, aus dem auch nachfolgende Generationen nicht entrinnen können?

 

Ein neues Herz

Für die Menschen der Bibel ist eines klar: Ihr Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes. Er will Menschen ein neues Herz und einen neuen Geist geben. Das bedeutet: Die erinnerten Schrecknisse sollen ihre zerstörerische Macht verlieren. Gott will nicht, dass Menschen in der Sphäre des Todes bleiben. Daran läßt auch Jesus keinen Zweifel: „Ich bin der gute Hirte...und ich gebe (meinen Schafen) das ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Joh 10). In der Sphäre Gottes verlieren die Dämonen der Vergangenheit ihre Macht.

Das bedeutet nicht, dass das Schlimme einfach vergessen werden kann. Aber die Erinnerung kann sich verändern. Dann öffnet sich der Weg in die Zukunft:

„Noch will das Alte unsere Herzen quälen/ noch drückt uns böser Tage schwere Last/Ach Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen/das Heil, für das Du uns geschaffen hast.“ (Dietrich Bonhoeffer)

Der 9. November liegt in diesem Jahr bereits hinter uns. Die Erinnerung an die Wendepunkte deutscher Geschichte soll auch in Zukunft helfen, die Schrecken zu überwinden. Damit auch aufgescheuchte Seelen ihren Frieden finden.