Die Sendung zum Nachlesen
Schon von weitem sind sie zu hören: Die Glocken der Pfarrkirche St. Peter in Schönbrunn im Fichtelgebirge im Nordosten Bayerns. Hoch erhoben steht sie da, die kleine gelbe Kirche mit dem Zwiebelturm. Am höchsten Punkt des Dorfes gelegen, blickt sie hinunter auf die Häuser und Höfe, die sich die Anhöhe entlangschmiegen. Hinter ihren Mauern liegt der Friedhof, der weiter den Hügel emporzuklettern scheint, bis er sich im Grün der Wiesen und Wälder verliert. St. Peter in Schönbrunn: Eine der "Schönen vom Lande", wie solche Dorfkirchen gerne genannt werden. Sie ist die Heimatkirche meines Mannes. Ich habe sie in mein Herz geschlossen, seitdem ich sie das erste Mal betreten habe. Ein Versuch zu erklären, was mich an ihr berührt und beeindruckt:
St. Peter in Schönbrunn erzählt vom Himmel und bleibt dabei geerdet. Der Innenraum ist mit warmem Holz ausgekleidet. Die Bretter der Kirchendecke sind in Fischgräten angeordnet und ebenso wie die Emporen mit roten Ranken und großen grünen Blüten bemalt, so wie die gute Stube in oberfränkischen Höfen. Dazwischen, wie selbstverständlich, die Lutherrose: das schwarze Kreuz im roten Herz mit den weißen Rosenblättern drumrum. Eine Kirche, die Glauben und Alltag verbindet, die auf Gott verweist und dabei doch nicht vorgibt, mehr zu sein, als sie ist. Das passt zu ihrem Namenspatron Petrus, dem Fischer und Apostel, dem Zweifler und Bekenner, dem nichts Menschliches fremd war. Ich fühle mich angenommen hier in dieser Kirche.
Und ernstgenommen – in meinem Leben und Glauben. Und zwar in einer mir zugewandten Art. Da ist die in zarten Farben gehaltene Wandmalerei im Chorraum. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert: Christus thront auf dem Regenbogen vor einem Sternenhimmel. Zwei Posaunenengel blasen zum Jüngsten Gericht. Zur Rechten Jesu lässt Petrus die Frommen in die Himmelsburg ein. Zur Linken schnappt ein Höllentier mit offenem Maul nach einer vornehm gekleideten Gestalt. Die Botschaft ist unmissverständlich: Es spielt vor Gott eine Rolle, wie ich hier lebe – so, wie Jesus es vorgelebt hat oder auf Kosten anderer. Und dennoch: Das Ungeheuer ist alles andere als brachial gezeichnet. Es wirkt, als könne es auch rasch in einem Puppentheater aushelfen. Der Ernst braucht keine schwarze Pädagogik. Die Pfarrkirche St. Peter verlockt mit Leichtigkeit und Charme zum Glauben und zu einem Leben in Gottes Sinn. Sie schafft es damit, die Kluft der Jahrhunderte zu überbrücken, die seit ihrer Entstehung im Hochmittelalter vergangen sind.
Sie vermittelt mir das Gefühl, willkommen zu sein, so, wie die Menschen neben mir in den Kirchenbänken und Generationen vor ihnen, die hier gesessen, gebetet und gesungen haben, die getauft, konfirmiert, getraut und hinter der Kirche zu Grabe getragen wurden. Geschichte und Geschichten, die hier geborgen sind.
Die Pfarrkirche St. Peter in Schönbrunn. Um sie und andere der rund 40 000 Kirchen und Kapellen in Deutschland geht es in dieser Sendung heute. Sie sind mehr als die Steine, aus denen sie errichtet wurden. Ihre Mauern atmen Vergangenes und Gegenwärtiges, Glauben und Zweifel, Klage und Glück. Sie erzählen von Hoffnung, Halt und Heiligem.
Locus iste a deo factus est: Anton Bruckner hat dieses Werk für die Einweihung der Votivkapelle im Linzer Dom komponiert. Locus iste - dieser Ort ist von Gott geschaffen. Die ersten Christen hatten noch keinen speziellen Ort, dem sie eine solche Bedeutung zugeschrieben hätten. Sie trafen sich in ihren Häusern, beteten in den Synagogen, während der frühen Christenverfolgungen auch an den Grabbauten ihrer Märtyrer. Erst nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war und die Liturgie geregelte Formen annahm, wurde zunehmend ein fester baulicher Rahmen dafür entwickelt.
Mit der Errichtung der Lateranbasilika in Rom im 4. Jahrhundert begann das Christentum Architekturgeschichte zu schreiben, Seite für Seite, durch die Jahrhunderte hinweg bis heute. Es zitiert dabei einmal stärker, einmal verhaltener die Formensprache der profanen Architektur, interpretiert sie nach seinen liturgischen Bedürfnissen um, überschreibt bereits Geschaffenes nach den Moden späterer Jahrhunderte. Es verfasst Kapitel voller Leichtigkeit - lichtdurchflutete gotische Kathedralen, Formen, die zum Himmel streben, vollkommene Harmonie. Später führen barocke Innenausstattungen die staunenden Gläubigen in himmlische Festsäle und überirdische Sphären. Stein um Stein erzählen die Sakralbauten von der Frömmigkeitsgeschichte ihrer Zeit, vom Sehnen und Suchen der Menschen, vom Verhältnis zwischen Macht, Gesellschaft und Religion. Es sind auch hässliche Erzählungen darunter: Gewaltverherrlichung, die Verhöhnung Andersgläubiger, das Schüren von Angst. Der Theologe Fulbert Steffensky sagt:
"Es gibt Kirchen von brutaler Stimmigkeit, die nicht Zeugen der Schönheit Gottes sind, sondern Zeugen des geraubten Gutes der Armen." (…)
"Unsere Kirchenräume sind in einem Zeugen der Heiligkeit des Geistes und sie sind Zeugen des Verrats."
Zeugen des Verrats dann, wenn sich in den Kirchen die Herrscher und Mächtigen selbst ein Denkmal errichten und nicht auf Gott verweisen.
Kirchenbauten als Selbstdarstellungen der Macht: Die Instrumentalisierung sakraler Bauten hat einen Grund nicht zuletzt in der unklaren bis zweifelhaften Beziehung zwischen einem Gotteshaus und dem vermeintlichen Hausherren: Gott. Ein Dilemma, das in der Bibel schon König Salomo benannte, als er den Jerusalemer Tempel mit den Worten einweihte:
"Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe. Nein, kein Haus kann Gott fassen, und kein Kirchengebäude kann garantieren, dass Gott hier mehr wohnt als anderswo. Was eine Kirche aber kann, ist, von der Hoffnung auf seine Gegenwart zu erzählen. Eine Hoffnung, die auf dem Versprechen gründet, dass Gott mit denen ist, die in seinem Namen zusammen sind. Dazu laden Kirchen ein. Dafür öffnen sie ihre Pforten.
Frankfurt am Main. Ein später Sommerabend. Mein Mann und ich lassen uns durch den Trubel der Altstadt treiben, wir kennen die Stadt kaum. Langsam wird es dunkel. Wir sind erschöpft. Von der Zeil aus, der berühmten Frankfurter Einkaufsmeile, machen wir uns auf zurück in Richtung Hotel. Mitten in der Fußgängerzone: ein Kirchengebäude, daneben ein Tor. Es steht offen. Um diese Zeit? Wir gehen näher, betreten einen kleinen Innenhof. Sanfter Kerzenschein empfängt uns, ein Lichtermeer vor der Marienfigur in dem steinernen Bogen. Der Trubel der Fußgängerzone scheint plötzlich meilenweit entfernt. Dieselbe Ruhe, dieselbe Wärme strahlt auch der Kirchenraum aus. Wir suchen uns einen Platz. Außer uns sitzen noch andere Menschen vereinzelt in den Bänken. Manche haben die Augen geschlossen. Wir atmen tief durch. Wie gut das tut.
Liebfrauen in Frankfurt, so heißt die Kirche. Viele verschiedene Angebote gibt es hier: lange Öffnungszeiten, Frühstück mit Sozialberatung für wohnsitzlose und arme Menschen, ökumenische Mittagsgebete, Seelsorgeangebote und mehr. Damit will dieser Ort, der aus Kirche, Kapuzinerkloster und Franziskustreff besteht, genau das sein, was mein Mann und ich hier so unerwartet gefunden haben: ein Kraftort für Leib und Seele. Im Magazin der Liebfrauenkirche steht:
Fromme kommen und gehen, Bedürftige kommen und gehen, Betende kommen und gehen – und auch Kapuziner kommen und gehen. Was zwischen dem Kommen und Gehen liegt, ist von Bedeutung: Menschen aufrichten – das will die Begegnung mit Gott und miteinander an diesem kostbaren Ort.
Ein kostbarer Ort, dessen Koordinaten zwischen Kommen und Gehen liegen. Im übertragenen wie im buchstäblichen Sinn: Früher führte die Stadtmauer direkt an Liebfrauen entlang. Eine Tür im Kirchturm, die heute ins Nichts führt, zeugt davon. Der Kapuziner Jens Kusenberg kommentiert dies in dem Magazin mit den Worten:
Die Liebfrauenkirche ist genau am Schnittpunkt zwischen dem Innenraum der Altstadt und dem Außen der umliegenden Gegend gebaut. Ein Durchlass. Ein Weg durch die Mauer. Ein Zwischenraum. Genauso nehme ich die Kirche heute wahr. Auch ohne begrenzende Stadtmauer.
Die Menschen, die hier einen Augenblick der Stille genießen, so Jens Kusenberg, erleben diesen Ort als einen Zwischen-Halt von der stetigen Bewegung.
Zwischen-Halt. Ein Wort, das trifft, was auch ich suche und immer wieder finde in Kirchenräumen. Zwischen-Halt: Wenn ich in fremden Ländern und Städten einen Moment der Geborgenheit in einer Kirche erlebe. Zwischen-Halt:
Wenn mir die sakralen Gegenstände und biblischen Gemälde bewusst machen, dass ich eingebettet bin in eine Geschichte, die so viel weiter reicht als mein eigenes Leben; ich darf mich gehalten fühlen darin. Zwischen-Halt schließlich als heilsame Unterbrechung meines Alltags, weil Kirchen mich zum Anhalten ermutigen, Woche für Woche: Indem sie mich am Sonntag zum Gottesdienst einladen und damit dazu, einen Pfahl zu setzen in die unaufhaltsam dahinfließende Zeit.
Kirchen erleben: Als Zwischen-Halt. Als Kraft-Ort. Als Gegenwelt zu säkularen Räumen. Um Menschen solche Erfahrungen zu ermöglichen, beschreiten Verantwortliche immer wieder neue Wege. So auch der Bayreuther Komponist und Kirchenmusiker Michael Lippert: Sphärische Klänge erfüllen die barocke Ordenskirche in Bayreuth-St. Georgen, digitale Toncollagen, die Michael Lippert komponiert und arrangiert hat. Zudem ist ein riesiger Tüllschleier vor die Ostseite in der Kirche gespannt, auf der Lichtinstallationen zu sehen sind. Licht und Klänge verändern den Raum - und auch die Menschen, die ihn betreten. Michael Lippert beobachtet das:
Die Menschen bewegen sich ganz anders, alles ist langsamer, andächtiger, stiller, und sie werden da regelrecht verzaubert davon.
Mit vorsichtigen Schritten erkunden die Menschen das Kircheninnere. Die Töne und Melodien gehen mit ihnen, hören sich immer wieder anders an, je nachdem, wo sie sich befinden: Am Taufbecken. Auf den Stufen hinauf zum Altar. Unter dem Kreuz. Durch die Toncollagen nehmen die Besucher den Raum und sich selbst auf eine neue Weise wahr. Eine Erfahrung, die Menschen berührt, nach der sie sich offensichtlich sehnen. Das zeigt die große Resonanz, auf die diese Projekte von Michael Lippert stoßen.
Die Menschen suchen, glaube ich schon, die Stille. Es ist nur oft schwer, sie wirklich zu finden. Man ist sich da natürlich auch selbst oft im Wege, weil man immer meint, etwas machen zu müssen. Und hier wird man wirklich mit in die Stille hineingenommen, und man kommt so ins Lauschen, und es wird alles ruhiger, andächtiger, meditativer.
Mit seinen Klangprojekten will Michael Lippert Menschen dazu anregen, inmitten einer immerzu redenden, handelnden Welt wieder neu ins Hören zu kommen: Ins Hören auf den Klang Gottes, wie auch immer man ihn definieren und verstehen mag. Für den Kirchenmusiker ist es ein kosmischer Klang, der sich in allem Geschaffenen äußern kann. Und dennoch: Bei dem, was Michael Lippert als "mystisches Hören" bezeichnet, misst er Kirchenräumen mit ihrer Ausstattung, ihrer Geschichte, ihrem Charakter eine besondere Rolle zu. Eine Rolle, die es zu pflegen und zu bewahren gilt.
Ich finde: Ein Kirchenraum muss ein heiliger Raum sein, und das müssen wir wiederentdecken. Es ist eben nicht das Wohnzimmer, sondern es ist wirklich ein herausgehobener Ort, und die Menschen haben eine Sehnsucht nach solchen Orten. Nicht nur in der Kirche finden sie das, aber ich finde, gerade in der Kirche sollte man es suchen auch.
"Wohl denen, die da bleiben, Herr Gott, im Hause dein." So besingt es der 84. Psalm. Das "Bleiben" verliert, was Sakralbauten betrifft, zunehmend an Selbstverständlichkeit.
Immer weniger Gläubige, die Kirchensteuereinnahmen sinken, Kirchen müssen entwidmet und veräußert werden. Eine von ihnen: die Kirche St. Joseph in Duisburg-Wedau. Eine Fernsehreportage dokumentiert den Abschied. Ein letzter Gottesdienst, die Kirchenbänke sind eng besetzt. Der Chor singt, viele sind zu Tränen gerührt. Nach einem speziellen Ritual werden die Kerzen gelöscht, der Altar wird abgeräumt. Vorsichtig heben Pfadfinder die Figur des Heiligen Joseph, Namenspatron der Kirche, von seinem Podest, betten ihn auf einen kleinen Wagen und schieben ihn dann langsam durch den Mittelgang nach draußen. Die Menschen erheben sich von ihren Plätzen, es ist wie bei einer Beerdigung. Rational sei es nachvollziehbar, eine Kirche aufzugeben, kommentiert ein Kirchenvorsteher. Emotional aber sei es eine ganz schwierige Situation: "Es geht ans Herz."
So wie in der Kirche St. Joseph in Duisburg-Wedau sind vielerorts die immer kleiner werdenden Gemeinden mit Erhalt und Unterhalt ihrer Kirchen überfordert. Mehr als 1000 Kirchen sind in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland aufgegeben worden. Was tun mit den Sakralbauten? Die Frage treibt nicht nur die Institution Kirche um. Im Mai hat eine Initiative von Stiftungen und Wissenschaftlern das Manifest "Kirchen sind Gemeingüter!" veröffentlicht. Das Manifest betont darin die Verantwortung von Staat und Gesellschaft für Kirchenbauten als kunsthistorisch bedeutsame öffentliche Räume und plädiert für neue Formen der Trägerschaft. Von verschiedenen Seiten werden Projekte initiiert und gefördert, die neue Ideen zur Nutzung von Sakralbauten unterstützen.
Wenn solche Neuausrichtungen mit Einfühlungsvermögen geschehen, kann darin auch die Chance liegen, dass Kirchen auf eindrückliche Weise neu von Kernbotschaften des christlichen Glaubens erzählen. Etwa in Berlin-Kreuzberg, wo aus der Kirche St. Simeon eine Flüchtlingskirche wurde: Geflüchtete finden hier kulturelle und spirituelle Angebote und können sich kostenfrei beraten lassen. Die ehemalige Pfarrkirche im Ostviertel von Aachen, auch eine St. Josef-Kirche, dient heute als Grabeskirche: In Stelen aus hochwertigem Beton können hier Urnen mit Gedenksteinen beigesetzt werden. Zwischen den Stelen gibt es Wege, ein schmaler Wasserlauf führt vom Eingangsbereich hin zum historischen Taufstein. In Neu Temmen in der Uckermark wurde aus einem baufälligen Gotteshaus eine Naturschutzkirche, in der auf besondere Weise Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung in Blick sind. In Kooperation von evangelischer Kirche und dem Naturschutzbund Deutschland wird zu Veranstaltungen rund um die Themenfelder Natur, Mensch und Gott eingeladen. Es gibt Blühwiesen, Nistplätze – und eine bunt gemischte Gemeinschaft, die hier zusammenkommt.
Verbum domini manet in aeternum: So steht es an der Kanzel der Kirche St. Peter in Schönbrunn im Fichtelgebirge: Das Wort des Herrn bleibt ewiglich. Im Buch des Propheten Jesaja sind diesem Vers zwei Sätze vorangestellt: Das Gras verdorrt. Die Blumen verwelken.
Alles ist vergänglich. Die Natur, wir selbst - und auch das, was wir schaffen und bauen: Kein Stein scheint gerade auf dem anderen zu bleiben in der Kirche, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. So sehr vielen Menschen Kirchengebäude ans Herz gewachsen sind, so schützenswert sie sind als Orte, an denen Menschen Halt finden und Hoffnung: Sie haben keine Bestandsgarantie.
Garantiert ist nur die Mitte, um die herum sie errichtet wurden und auf die sie verweisen mit ihren Kreuzen und Kanzeln, ihren Altären und Bildern, ihren Türmen und Glocken: Verbum domini. Das Wort des Herrn.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Anton Bruckner, Locus iste
2. Johannes Ebenbauer, Komm her, freu dich mit uns, tritt ein
3. Michael Lippert, Agnus Dei aus Messe des Kosmos
4. Heinrich Schütz, Wie sehr lieblich und schöne
5. J. S. Bach, Jesu bleibet meine Freude
Literatur dieser Sendung:
1. Schutt und Asche - Streifzüge durch Bibel und Gesangbuch
2. Liebfrauen. Mehr als Du siehst
Schon von weitem sind sie zu hören: Die Glocken der Pfarrkirche St. Peter in Schönbrunn im Fichtelgebirge im Nordosten Bayerns. Hoch erhoben steht sie da, die kleine gelbe Kirche mit dem Zwiebelturm. Am höchsten Punkt des Dorfes gelegen, blickt sie hinunter auf die Häuser und Höfe, die sich die Anhöhe entlangschmiegen. Hinter ihren Mauern liegt der Friedhof, der weiter den Hügel emporzuklettern scheint, bis er sich im Grün der Wiesen und Wälder verliert. St. Peter in Schönbrunn: Eine der "Schönen vom Lande", wie solche Dorfkirchen gerne genannt werden. Sie ist die Heimatkirche meines Mannes. Ich habe sie in mein Herz geschlossen, seitdem ich sie das erste Mal betreten habe. Ein Versuch zu erklären, was mich an ihr berührt und beeindruckt:
St. Peter in Schönbrunn erzählt vom Himmel und bleibt dabei geerdet. Der Innenraum ist mit warmem Holz ausgekleidet. Die Bretter der Kirchendecke sind in Fischgräten angeordnet und ebenso wie die Emporen mit roten Ranken und großen grünen Blüten bemalt, so wie die gute Stube in oberfränkischen Höfen. Dazwischen, wie selbstverständlich, die Lutherrose: das schwarze Kreuz im roten Herz mit den weißen Rosenblättern drumrum. Eine Kirche, die Glauben und Alltag verbindet, die auf Gott verweist und dabei doch nicht vorgibt, mehr zu sein, als sie ist. Das passt zu ihrem Namenspatron Petrus, dem Fischer und Apostel, dem Zweifler und Bekenner, dem nichts Menschliches fremd war. Ich fühle mich angenommen hier in dieser Kirche.
Und ernstgenommen – in meinem Leben und Glauben. Und zwar in einer mir zugewandten Art. Da ist die in zarten Farben gehaltene Wandmalerei im Chorraum. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert: Christus thront auf dem Regenbogen vor einem Sternenhimmel. Zwei Posaunenengel blasen zum Jüngsten Gericht. Zur Rechten Jesu lässt Petrus die Frommen in die Himmelsburg ein. Zur Linken schnappt ein Höllentier mit offenem Maul nach einer vornehm gekleideten Gestalt. Die Botschaft ist unmissverständlich: Es spielt vor Gott eine Rolle, wie ich hier lebe – so, wie Jesus es vorgelebt hat oder auf Kosten anderer. Und dennoch: Das Ungeheuer ist alles andere als brachial gezeichnet. Es wirkt, als könne es auch rasch in einem Puppentheater aushelfen. Der Ernst braucht keine schwarze Pädagogik. Die Pfarrkirche St. Peter verlockt mit Leichtigkeit und Charme zum Glauben und zu einem Leben in Gottes Sinn. Sie schafft es damit, die Kluft der Jahrhunderte zu überbrücken, die seit ihrer Entstehung im Hochmittelalter vergangen sind.
Sie vermittelt mir das Gefühl, willkommen zu sein, so, wie die Menschen neben mir in den Kirchenbänken und Generationen vor ihnen, die hier gesessen, gebetet und gesungen haben, die getauft, konfirmiert, getraut und hinter der Kirche zu Grabe getragen wurden. Geschichte und Geschichten, die hier geborgen sind.
Die Pfarrkirche St. Peter in Schönbrunn. Um sie und andere der rund 40 000 Kirchen und Kapellen in Deutschland geht es in dieser Sendung heute. Sie sind mehr als die Steine, aus denen sie errichtet wurden. Ihre Mauern atmen Vergangenes und Gegenwärtiges, Glauben und Zweifel, Klage und Glück. Sie erzählen von Hoffnung, Halt und Heiligem.
Locus iste a deo factus est: Anton Bruckner hat dieses Werk für die Einweihung der Votivkapelle im Linzer Dom komponiert. Locus iste - dieser Ort ist von Gott geschaffen. Die ersten Christen hatten noch keinen speziellen Ort, dem sie eine solche Bedeutung zugeschrieben hätten. Sie trafen sich in ihren Häusern, beteten in den Synagogen, während der frühen Christenverfolgungen auch an den Grabbauten ihrer Märtyrer. Erst nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war und die Liturgie geregelte Formen annahm, wurde zunehmend ein fester baulicher Rahmen dafür entwickelt.
Mit der Errichtung der Lateranbasilika in Rom im 4. Jahrhundert begann das Christentum Architekturgeschichte zu schreiben, Seite für Seite, durch die Jahrhunderte hinweg bis heute. Es zitiert dabei einmal stärker, einmal verhaltener die Formensprache der profanen Architektur, interpretiert sie nach seinen liturgischen Bedürfnissen um, überschreibt bereits Geschaffenes nach den Moden späterer Jahrhunderte. Es verfasst Kapitel voller Leichtigkeit - lichtdurchflutete gotische Kathedralen, Formen, die zum Himmel streben, vollkommene Harmonie. Später führen barocke Innenausstattungen die staunenden Gläubigen in himmlische Festsäle und überirdische Sphären. Stein um Stein erzählen die Sakralbauten von der Frömmigkeitsgeschichte ihrer Zeit, vom Sehnen und Suchen der Menschen, vom Verhältnis zwischen Macht, Gesellschaft und Religion. Es sind auch hässliche Erzählungen darunter: Gewaltverherrlichung, die Verhöhnung Andersgläubiger, das Schüren von Angst. Der Theologe Fulbert Steffensky sagt:
"Es gibt Kirchen von brutaler Stimmigkeit, die nicht Zeugen der Schönheit Gottes sind, sondern Zeugen des geraubten Gutes der Armen." (…)
"Unsere Kirchenräume sind in einem Zeugen der Heiligkeit des Geistes und sie sind Zeugen des Verrats."
Zeugen des Verrats dann, wenn sich in den Kirchen die Herrscher und Mächtigen selbst ein Denkmal errichten und nicht auf Gott verweisen.
Kirchenbauten als Selbstdarstellungen der Macht: Die Instrumentalisierung sakraler Bauten hat einen Grund nicht zuletzt in der unklaren bis zweifelhaften Beziehung zwischen einem Gotteshaus und dem vermeintlichen Hausherren: Gott. Ein Dilemma, das in der Bibel schon König Salomo benannte, als er den Jerusalemer Tempel mit den Worten einweihte:
"Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe. Nein, kein Haus kann Gott fassen, und kein Kirchengebäude kann garantieren, dass Gott hier mehr wohnt als anderswo. Was eine Kirche aber kann, ist, von der Hoffnung auf seine Gegenwart zu erzählen. Eine Hoffnung, die auf dem Versprechen gründet, dass Gott mit denen ist, die in seinem Namen zusammen sind. Dazu laden Kirchen ein. Dafür öffnen sie ihre Pforten.
Frankfurt am Main. Ein später Sommerabend. Mein Mann und ich lassen uns durch den Trubel der Altstadt treiben, wir kennen die Stadt kaum. Langsam wird es dunkel. Wir sind erschöpft. Von der Zeil aus, der berühmten Frankfurter Einkaufsmeile, machen wir uns auf zurück in Richtung Hotel. Mitten in der Fußgängerzone: ein Kirchengebäude, daneben ein Tor. Es steht offen. Um diese Zeit? Wir gehen näher, betreten einen kleinen Innenhof. Sanfter Kerzenschein empfängt uns, ein Lichtermeer vor der Marienfigur in dem steinernen Bogen. Der Trubel der Fußgängerzone scheint plötzlich meilenweit entfernt. Dieselbe Ruhe, dieselbe Wärme strahlt auch der Kirchenraum aus. Wir suchen uns einen Platz. Außer uns sitzen noch andere Menschen vereinzelt in den Bänken. Manche haben die Augen geschlossen. Wir atmen tief durch. Wie gut das tut.
Liebfrauen in Frankfurt, so heißt die Kirche. Viele verschiedene Angebote gibt es hier: lange Öffnungszeiten, Frühstück mit Sozialberatung für wohnsitzlose und arme Menschen, ökumenische Mittagsgebete, Seelsorgeangebote und mehr. Damit will dieser Ort, der aus Kirche, Kapuzinerkloster und Franziskustreff besteht, genau das sein, was mein Mann und ich hier so unerwartet gefunden haben: ein Kraftort für Leib und Seele. Im Magazin der Liebfrauenkirche steht:
Fromme kommen und gehen, Bedürftige kommen und gehen, Betende kommen und gehen – und auch Kapuziner kommen und gehen. Was zwischen dem Kommen und Gehen liegt, ist von Bedeutung: Menschen aufrichten – das will die Begegnung mit Gott und miteinander an diesem kostbaren Ort.
Ein kostbarer Ort, dessen Koordinaten zwischen Kommen und Gehen liegen. Im übertragenen wie im buchstäblichen Sinn: Früher führte die Stadtmauer direkt an Liebfrauen entlang. Eine Tür im Kirchturm, die heute ins Nichts führt, zeugt davon. Der Kapuziner Jens Kusenberg kommentiert dies in dem Magazin mit den Worten:
Die Liebfrauenkirche ist genau am Schnittpunkt zwischen dem Innenraum der Altstadt und dem Außen der umliegenden Gegend gebaut. Ein Durchlass. Ein Weg durch die Mauer. Ein Zwischenraum. Genauso nehme ich die Kirche heute wahr. Auch ohne begrenzende Stadtmauer.
Die Menschen, die hier einen Augenblick der Stille genießen, so Jens Kusenberg, erleben diesen Ort als einen Zwischen-Halt von der stetigen Bewegung.
Zwischen-Halt. Ein Wort, das trifft, was auch ich suche und immer wieder finde in Kirchenräumen. Zwischen-Halt: Wenn ich in fremden Ländern und Städten einen Moment der Geborgenheit in einer Kirche erlebe. Zwischen-Halt:
Wenn mir die sakralen Gegenstände und biblischen Gemälde bewusst machen, dass ich eingebettet bin in eine Geschichte, die so viel weiter reicht als mein eigenes Leben; ich darf mich gehalten fühlen darin. Zwischen-Halt schließlich als heilsame Unterbrechung meines Alltags, weil Kirchen mich zum Anhalten ermutigen, Woche für Woche: Indem sie mich am Sonntag zum Gottesdienst einladen und damit dazu, einen Pfahl zu setzen in die unaufhaltsam dahinfließende Zeit.
Kirchen erleben: Als Zwischen-Halt. Als Kraft-Ort. Als Gegenwelt zu säkularen Räumen. Um Menschen solche Erfahrungen zu ermöglichen, beschreiten Verantwortliche immer wieder neue Wege. So auch der Bayreuther Komponist und Kirchenmusiker Michael Lippert: Sphärische Klänge erfüllen die barocke Ordenskirche in Bayreuth-St. Georgen, digitale Toncollagen, die Michael Lippert komponiert und arrangiert hat. Zudem ist ein riesiger Tüllschleier vor die Ostseite in der Kirche gespannt, auf der Lichtinstallationen zu sehen sind. Licht und Klänge verändern den Raum - und auch die Menschen, die ihn betreten. Michael Lippert beobachtet das:
Die Menschen bewegen sich ganz anders, alles ist langsamer, andächtiger, stiller, und sie werden da regelrecht verzaubert davon.
Mit vorsichtigen Schritten erkunden die Menschen das Kircheninnere. Die Töne und Melodien gehen mit ihnen, hören sich immer wieder anders an, je nachdem, wo sie sich befinden: Am Taufbecken. Auf den Stufen hinauf zum Altar. Unter dem Kreuz. Durch die Toncollagen nehmen die Besucher den Raum und sich selbst auf eine neue Weise wahr. Eine Erfahrung, die Menschen berührt, nach der sie sich offensichtlich sehnen. Das zeigt die große Resonanz, auf die diese Projekte von Michael Lippert stoßen.
Die Menschen suchen, glaube ich schon, die Stille. Es ist nur oft schwer, sie wirklich zu finden. Man ist sich da natürlich auch selbst oft im Wege, weil man immer meint, etwas machen zu müssen. Und hier wird man wirklich mit in die Stille hineingenommen, und man kommt so ins Lauschen, und es wird alles ruhiger, andächtiger, meditativer.
Mit seinen Klangprojekten will Michael Lippert Menschen dazu anregen, inmitten einer immerzu redenden, handelnden Welt wieder neu ins Hören zu kommen: Ins Hören auf den Klang Gottes, wie auch immer man ihn definieren und verstehen mag. Für den Kirchenmusiker ist es ein kosmischer Klang, der sich in allem Geschaffenen äußern kann. Und dennoch: Bei dem, was Michael Lippert als "mystisches Hören" bezeichnet, misst er Kirchenräumen mit ihrer Ausstattung, ihrer Geschichte, ihrem Charakter eine besondere Rolle zu. Eine Rolle, die es zu pflegen und zu bewahren gilt.
Ich finde: Ein Kirchenraum muss ein heiliger Raum sein, und das müssen wir wiederentdecken. Es ist eben nicht das Wohnzimmer, sondern es ist wirklich ein herausgehobener Ort, und die Menschen haben eine Sehnsucht nach solchen Orten. Nicht nur in der Kirche finden sie das, aber ich finde, gerade in der Kirche sollte man es suchen auch.
"Wohl denen, die da bleiben, Herr Gott, im Hause dein." So besingt es der 84. Psalm. Das "Bleiben" verliert, was Sakralbauten betrifft, zunehmend an Selbstverständlichkeit.
Immer weniger Gläubige, die Kirchensteuereinnahmen sinken, Kirchen müssen entwidmet und veräußert werden. Eine von ihnen: die Kirche St. Joseph in Duisburg-Wedau. Eine Fernsehreportage dokumentiert den Abschied. Ein letzter Gottesdienst, die Kirchenbänke sind eng besetzt. Der Chor singt, viele sind zu Tränen gerührt. Nach einem speziellen Ritual werden die Kerzen gelöscht, der Altar wird abgeräumt. Vorsichtig heben Pfadfinder die Figur des Heiligen Joseph, Namenspatron der Kirche, von seinem Podest, betten ihn auf einen kleinen Wagen und schieben ihn dann langsam durch den Mittelgang nach draußen. Die Menschen erheben sich von ihren Plätzen, es ist wie bei einer Beerdigung. Rational sei es nachvollziehbar, eine Kirche aufzugeben, kommentiert ein Kirchenvorsteher. Emotional aber sei es eine ganz schwierige Situation: "Es geht ans Herz."
So wie in der Kirche St. Joseph in Duisburg-Wedau sind vielerorts die immer kleiner werdenden Gemeinden mit Erhalt und Unterhalt ihrer Kirchen überfordert. Mehr als 1000 Kirchen sind in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland aufgegeben worden. Was tun mit den Sakralbauten? Die Frage treibt nicht nur die Institution Kirche um. Im Mai hat eine Initiative von Stiftungen und Wissenschaftlern das Manifest "Kirchen sind Gemeingüter!" veröffentlicht. Das Manifest betont darin die Verantwortung von Staat und Gesellschaft für Kirchenbauten als kunsthistorisch bedeutsame öffentliche Räume und plädiert für neue Formen der Trägerschaft. Von verschiedenen Seiten werden Projekte initiiert und gefördert, die neue Ideen zur Nutzung von Sakralbauten unterstützen.
Wenn solche Neuausrichtungen mit Einfühlungsvermögen geschehen, kann darin auch die Chance liegen, dass Kirchen auf eindrückliche Weise neu von Kernbotschaften des christlichen Glaubens erzählen. Etwa in Berlin-Kreuzberg, wo aus der Kirche St. Simeon eine Flüchtlingskirche wurde: Geflüchtete finden hier kulturelle und spirituelle Angebote und können sich kostenfrei beraten lassen. Die ehemalige Pfarrkirche im Ostviertel von Aachen, auch eine St. Josef-Kirche, dient heute als Grabeskirche: In Stelen aus hochwertigem Beton können hier Urnen mit Gedenksteinen beigesetzt werden. Zwischen den Stelen gibt es Wege, ein schmaler Wasserlauf führt vom Eingangsbereich hin zum historischen Taufstein. In Neu Temmen in der Uckermark wurde aus einem baufälligen Gotteshaus eine Naturschutzkirche, in der auf besondere Weise Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung in Blick sind. In Kooperation von evangelischer Kirche und dem Naturschutzbund Deutschland wird zu Veranstaltungen rund um die Themenfelder Natur, Mensch und Gott eingeladen. Es gibt Blühwiesen, Nistplätze – und eine bunt gemischte Gemeinschaft, die hier zusammenkommt.
Verbum domini manet in aeternum: So steht es an der Kanzel der Kirche St. Peter in Schönbrunn im Fichtelgebirge: Das Wort des Herrn bleibt ewiglich. Im Buch des Propheten Jesaja sind diesem Vers zwei Sätze vorangestellt: Das Gras verdorrt. Die Blumen verwelken.
Alles ist vergänglich. Die Natur, wir selbst - und auch das, was wir schaffen und bauen: Kein Stein scheint gerade auf dem anderen zu bleiben in der Kirche, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. So sehr vielen Menschen Kirchengebäude ans Herz gewachsen sind, so schützenswert sie sind als Orte, an denen Menschen Halt finden und Hoffnung: Sie haben keine Bestandsgarantie.
Garantiert ist nur die Mitte, um die herum sie errichtet wurden und auf die sie verweisen mit ihren Kreuzen und Kanzeln, ihren Altären und Bildern, ihren Türmen und Glocken: Verbum domini. Das Wort des Herrn.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Anton Bruckner, Locus iste
2. Johannes Ebenbauer, Komm her, freu dich mit uns, tritt ein
3. Michael Lippert, Agnus Dei aus Messe des Kosmos
4. Heinrich Schütz, Wie sehr lieblich und schöne
5. J. S. Bach, Jesu bleibet meine Freude
Literatur dieser Sendung:
1. Schutt und Asche - Streifzüge durch Bibel und Gesangbuch
2. Liebfrauen. Mehr als Du siehst