Morgenandacht
Höhere Gewalt
12.02.2015 05:35

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ So beten Christen im Vaterunser. Gott sollte es nicht schwerfallen, den Menschen zu vergeben. Noch dazu, wenn sie so einsichtig und schuldbewusst daherkommen wie die frommen Beter.

 

Im komplizierten Netzwerk menschlicher Beziehungen ist das mit der Vergebung aber eine schwierige Angelegenheit. Das jedenfalls zeigt der Film „Höhere Gewalt“ in durchaus verstörender Weise.

 

Eine schwedische Familie sitzt auf der Hotelterrasse vor atemberaubender Kulisse in den französischen Alpen. Sie genießen den gemeinsamen Urlaub – Vater, Mutter und zwei Kinder. Gerade noch waren sie beim Frühstück zu sehen. Der Vater arbeitet zu viel, so war zu erfahren. Doch nun hat er Zeit für die Familie. Skifahren, lange schlafen, gut essen, die perfekten Ferien in perfektem Ambiente.

 

Im Hintergrund hört man dumpfe Explosionen mit dramatischer Filmmusik unterlegt. Das sind gezielte Sprengungen, damit sich keine unkontrollierten Lawinen lösen und Unheil anrichten. So ist der Vater auch ganz entspannt, als sich eine Lawine auf die Hotelterrasse zubewegt. Keine Angst, so beruhigt er Frau und Kinder, die haben hier alles im Griff. Seine Kamera läuft, um das Naturschauspiel festzuhalten. Doch die Lawine kommt näher und näher. Panik bricht aus unter den Gästen. Sie suchen Schutz im Hotel und drängen den Türen entgegen.

 

Ebba, die Mutter, greift sich die beiden Kinder. Sie schreit um Hilfe, Thomas, ihr Mann soll kommen, um ihr eines abzunehmen, denn beide kann sie nicht tragen. Doch Thomas hat sich Handy und Handschuhe geschnappt und in Sicherheit gebracht. Alles eine Sache von wenigen Sekunden. Schnell hat sich die Schneewolke gelegt, die Lawine ist vor dem Hotel zum Stehen gekommen und niemandem ist etwas zugestoßen. Keine Minute später sitzt die Familie wieder am Tisch. Ebba tröstet die Kinder, Thomas schaut etwas hilflos in die Runde. Es herrscht betretenes Schweigen.

 

Thomas hat versagt, als Vater, als Mann, als Mensch. Alle vier wissen das, doch niemand hat Worte für diese Situation. Thomas versucht den guten Ausgang zu nehmen und alles als gar nicht so schlimm darzustellen, doch das funktioniert nicht.

 

Ebba will reden, doch das Erlebte macht sie sprachlos. Sie stottert sich die Fakten zusammen. Erst Stück für Stück gelingt es ihr, die ganze Wahrheit auszusprechen. Thomas dagegen wehrt alles ab. Sein Selbstbild ist in Gefahr, keine Erklärung ist ihm zu blöd, um als Schutz für sein Ego herzuhalten.

Die Kinder spüren die Dramatik. Ihr Blick geht aber nicht zurück zur Lawine. Sie sehen die Ehe ihrer Eltern in Gefahr. „Werdet ihr euch scheiden lassen?“, so fragt der etwa fünfjährige Sohn.

 

Dann aber bricht Thomas zusammen, er weint sich seiner Wahrheit entgegen, nach und nach fallen die Schutzmauern seines Ego. Als wäre er eine gespaltene Person, klagt er den Feigling in sich an. Mit ihm will er nichts zu tun haben, mit ihm im Gepäck, meint er, nicht leben zu können. Nicht einmal die Kinder schaffen es, ihn in seinem Weinkrampf zu beruhigen. Und seiner Frau gelingt es nur sehr langsam, sich ihm wieder zu nähern.

 

Später, bei einem Skiausflug darf Thomas sich dann noch als Helfer betätigen und seine Frau aus dem Tiefschnee retten. Doch man fragt sich, ob Ebba ihm diese Rolle ganz bewusst zugeschoben hat, ob das ihr Beitrag zu einem Neuanfang war?

Sich selbst freisprechen kann man eigentlich nicht, man braucht dafür den gütigen Blick der Vergebung, man braucht ein liebendes Du, um wirklich frei zu werden, von der Last schlimmen Versagens.

 

„Höhere Gewalt“ – das ist ein Film von zwei Stunden und Diskussionsstoff über Schuld und Vergebung für sehr lange Gespräche.