Als Petrus seinen Herrn mit dem Schwert verteidigen will, sagt Jesus: "Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der wird durchs Schwert umkommen." (Johannes 18,11 / Matthäus 26,52) Für mich ist dies das Urwort eines christlichen Pazifismus. Man kann nach anderen Bibelstellen suchen, um diese Aussage zu relativieren. Allerdings entfernt man sich dann von dem Grundton, den Jesus in der Bergpredigt setzt: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.‘" (Matthäus 5,43+44)
"Stecke dein Schwert an seinen Ort!" Dieses Jesuswort provoziert mich, und es lässt mich immer wieder fragen, ob ich tatsächlich bereit bin, Jesus in dieser radikalen Haltung zu folgen. All den Unrechtsregimen dieser Welt vom Nazireich bis zu den gegenwärtigen Diktaturen und Kriegstreibern unbewaffnet zu begegnen, das ist eine Herausforderung. Eine Herausforderung, vor der schon Jesu erste Anhängerschaft stand. Einige seiner Jünger wollten das damalige Israel vom Joch der Römer befreien, gegebenenfalls mit Waffengewalt. Jesus hingegen wollte nicht sein Land befreien, sondern den Menschen, jeden Einzelnen. Eine Botschaft, die bis heute bewegt.
Diesen christlichen Pazifismus vertritt Ana Raffai. Sie lebt mit ihrem Mann Otto in Zagreb und engagiert sich für Versöhnung in dieser schwer traumatisierten Region mit ihrem Verein RAND - das heißt "regionale Adresse für gewaltfreies Handeln in Kroatien". Ana Raffai reist als Friedensaktivistin durch Europa, hält Vorträge, leitet Seminare.
In Kroatien herrschte in den 90er Jahren Krieg zwischen Kroaten und Serben. Anas Stadt Zagreb wurde mit Raketen beschossen. Trotz oder gerade wegen dieser Erfahrungen plädiert Ana Raffai für den gewaltfreien Umgang mit Konflikten. Sie erklärt, vor welchem Hintergrund sie ihre Friedensarbeit leistet und woraus sie Kraft schöpft.
Ana Raffai:
Für die Friedensarbeit spielt der Glaube bei mir eine große Rolle. Der Glaube ist Podium, ist Fundament, auf dem ich mich traue, Risiken des Friedens aufzunehmen. Friedensarbeit ist ein Risiko. Alle sagen dir: Nein, geh nicht zum Feind! Er ist schlecht, er ist launisch, er wird dich betrügen. Und das Risiko besteht darin, dass wir uns auf Gott berufen und sagen:
Ja, Gott, ist es dein Job, Frieden (herzustellen) oder nicht? Und wenn es dein Job ist, dann bitte, hilf mir, dass ich trotzdem, trotz aller dieser Warnungen hingehe, diese ganze Versöhnungsarbeit / Vertrauen – das alles basiert auf Mensch zu Mensch, du hast keine Garantie. Aus dem Glauben hast du viele Parabola, die dir sagen: Geh hin! Gottes Anweisung ist, zu den Feinden zu gehen, die als Feinde gekennzeichnet sind. Glaube ist für mich wie Bungeejumping. Aber irgendwie hoffst du, dass diese Schnur nicht fällt, sondern dich hebt nach oben. In diesem Sinne Glaube.
Autor:
Friedensarbeit konkret machen, das war für die Kroatin Ana Raffai ein Lernprozess, bei dem es wichtig war, auf die richtigen Leute zu stoßen und mit guten, überzeugenden Ideen in Kontakt zu kommen.
Ana Raffai:
Wir waren damals, also der Krieg war schon ausgebrochen bei uns, war ein christlicher Friedenskreis. Und aus der Bibel nahmen wir dieses Zitat: Gott gibt Sonne den Guten und den Bösen. Also damals, wir wussten genau, wer gut ist, das sind wir, und die Bösen, das sind die Angreifer. Aber trotzdem haben wir gebetet. Wir haben gebetet. Also in vielen Kirchen. In Zagreb gibt es diese verschiedenen Kirchen aus dem ökumenischen Bereich, verschiedene protestantische Denominationen, orthodoxe Kirche, katholische Kirche. Das war ein Begegnungsort. Für mich war sehr wichtig ein Wort von Herbert Fröhlich, wo er mich irgendwie bewegt hat in diese Friedensrichtung.
Da hat er gesagt: Ana, es ist wichtig: Entdämonisierung des Feindes. Der Feind ist für dich Bedrohung, aber kein Dämon, kein Teufel, das ist noch immer Mensch. Und im Krieg werden die Feinde dämonisiert. Da versucht man, unsere Werte, die wir als normal im Frieden leben, versucht man total zu annullieren. Und in der Zeit von Krieg soll man anders denken. Und dann endet einmal der Krieg, und dann sollst du wieder zum Frieden zurückkehren. Das geht nicht so. Also das, was im Frieden, in der zivilen Welt verboten ist, nämlich zu töten, das wird im Krieg oder im militärischen Denken befohlen. Nicht nur, dass du es darfst, dass du es musst. Und diese zwei Seiten, das passt nicht zusammen.
Autor:
Ana Raffai beschreibt, wie wichtig persönliche Begegnungen für sie waren und was sie bei ihr verändert haben.
Ana Raffai:
Eine wichtige Person für mich war der Pfarrer Herbert Fröhlich. Er reiste durch diese Gebiete von Wojwodina, Kroatien, hat Kontakte gemacht mit Franziskanern.
Und so langsam begann ich das zu verstehen. Aber für mich war Krieg auch Schock und fühlte, oh, wir sind angegriffen, wir müssen uns wehren und so. Aber ich hatte Glück, dass ich diese Leute oder diese Denkweise kennengelernt habe und langsam das als meins verstanden habe. Das hat mich gerettet.
Autor:
Die Kroatin Ana Raffai setzt sich für einen christlichen Pazifismus ein. Ich war im Gespräch mit ihr und habe sie gefragt: Frau Raffai, was hat Ihnen geholfen, nicht zu hassen in einem Krieg, den man als ungerecht empfindet, der einen aufgezwungen wird?
Ana Raffai:
Hass zerstört auch jenen, der hasst. Und diesen Hass versteht man als Schutz gegenüber dem, vor dem ich eigentlich Angst habe. Wer nicht vergeben will oder kann, ist wie jemand, der Gift trinkt und hofft, dass der andere stirbt. Ich meine, das ist das Problem, dass wir mit Hass oder Nicht-Vergeben uns an diejenigen, die uns wehgetan haben, kleben.
In Chile haben die Intellektuellen, die wirklich große Gewalt erlebt haben, also sie verschwanden. Ihr Wort war: Lass nicht zu, dass Diktatur dir die Seele umtauscht. Also, wir sollen nicht zulassen, dass Militarismus uns die Seele umtauscht. Das ist unsere Aufgabe jetzt.
Autor:
Aber hatten nicht auch Sie den Impuls, Widerstand zu leisten, der Aggression von der anderen Seite etwas entgegenzusetzen? Viele Menschen, die sich lange als Pazifisten verstanden haben, plädieren heute für Waffenlieferungen.
Ana Raffai:
Widerstand ja, gewaltsam nein. Ich denke, in der jetzigen Situation können wir als Friedensstifter am meisten auf diese Leute, die um den Konflikt sind, wirken. Im Gaza-Konflikt oder Ukraine-Krieg. Unbewusst befürwortet diese Umgebung Gewalt und Militarismus, und darauf können wir heute wirken, mehr als auf die direkten Akteure, weil wir da keinen Zugang haben. Aber wir können in den Medien, im Gespräch mit Menschen, in unseren Vorträgen können wir darauf aufmerksam machen, wie weit wir Frieden nicht vergessen haben oder vergessen haben. Das ist uns wichtig, dass wir eigentlich diese Denkweise nicht übernehmen, die uns immer wieder aufgetragen wird durch diese Verteidigungsideologie, durch diese Opfer und Täter, durch diese postkolonialen Kämpfe und so weiter. Aber da wird uns transferiert auch dieses militaristisches Denke.
Autor:
Aber lassen sich die Aggressoren dadurch beeindrucken, dass wir der Gewalt abschwören?
Ana Raffai:
Wenn wir reden, reden wir zu dem Gewissen des Menschen. Übertragen auf heute reden wir zum Gewissen von Trump oder des Putin oder wer immer für uns für den Feind steht. Als Feind der Demokratie oder des Friedens usw. Wenn wir so denken, jemand wird das hören. Vielleicht nicht gleich Putin, aber wie gesagt, er ist auch nicht gleich der Teufel, er ist auch Mensch. Wie können wir auch an seine Anhänger so wirken, an die Leute, die ihn unterstützen? Immer sollen wir, bevor wir wirken, uns überprüfen: Wirke ich aus Liebe zu dem Nächsten, aus Liebe zum Feind? Das ist unsere große Botschaft vom Christentum. Wenn ich mich auf diese Liebe eingestellt habe, dann kann ich wirken.
Autor:
Das Konzept mag in kleinen Gruppen funktionieren. Aber wie ist es mit Staaten und Völkern? Immer wieder wurden die Serben in den westlichen Medien als eine aggressive Kultur dargestellt. Wie sehen Sie das, die Sie ja durchaus Leid durch die Serben erfahren haben?
Ana Raffai:
Nein, ich denke, es führt uns nicht weiter, wenn wir einem Volk Eigenschaften beitragen. Es gibt kulturelle Bedingungen, aber die lassen sich auch ändern. Und auch in Serbien, wenn wir schon von Serben reden, gibt es Frauen in Schwarz, die wirklich eine Vorreiterfunktion haben in Friedensarbeit. Sie sind jedes Jahr in Srebrenica und nicht nur so mit doppelter Botschaft, es soll alles bleiben, wie es ist, aber wir sind gut, sondern mit einer klaren Botschaft, dass diese nationalistischen Regime zu solchen Kriegsverbrechen führen. Und diese Frauen sind wunderbar. Und nicht nur sie. Sie haben auch andere Organisationen und genauso wie in Kroatien auch viele kleinere oder größere friedensstiftende Organisationen, die für Frieden arbeiten, die total anders sind als nationalistische Politik.
Autor:
Frau Raffai, Sie sind Katholikin, Sie sind Christin. Sie vertrauen auf die Kraft der Liebe und ermutigen Menschen, einander zu begegnen und das Risiko des Friedens zu wagen. Wenn Sie aber auf die Strukturen schauen, die zu Krieg und Gewalt führen, was sehen Sie da?
Ana Raffai:
Krieg und Patriarchat sind wie Zwillingsbrüder. Diese patriarchalen Werte oder Unwerte der Dominanz, der Herrschaft. Wenn ich nicht oben bin, dann bin ich verloren. Das ist alles, was Krieg befürwortet. Ich kenne es aus der feministischen Theologie, diesen Vorwurf, Krieg gehört zum Patriarchat, und wir sollen das parallel abbauen. Krieg und Patriarchat und dann noch als drittes: Kapitalismus. Kapitalismus verlangt Krieg. Das, worüber wir nicht geredet haben: Krieg ist ein Geschäft. Millionen werden verdient auf Kosten von Toten.
Das ist auch ein Teil vom patriarchalen Verständnis, von Gewinnen.
Autor:
So weit mein Gespräch mit Ana Raffai, der Kroatin, die sich aus ihrem christlichen Glauben heraus für "Frieden schaffen ohne Waffen" einsetzt. Der Pazifismus hat es derzeit schwer, auch in der evangelischen Kirche in Deutschland. Diejenigen Christinnen und Christen, die den Einsatz von Waffen gegen einen Aggressor für gerechtfertigt halten, heben hervor, dass in der Bibel Frieden und Gerechtigkeit zusammengehören. Dass es keinen wahren Frieden gibt, wenn Unrecht hingenommen wird. Dass Menschen, die angegriffen werden, Schutz brauchen.
Um den Schutz von Menschen geht es selbstverständlich auch Christen wie mir, die für Pazifismus eintreten. Wenn ich auf die Argumente für eine militärische Friedenssicherung schaue, so erweist es sich als Illusion, dass ein Sieg über die Angreifer Frieden bringt. Der Krieg macht auch die Sieger in ihrer Seele krank. Der Weg zum wirklichen Frieden geht nur über die Versöhnung mit dem Kontrahenten. Sich auf diesen Prozess einzulassen, ist mit Risiken verbunden. Ana Raffai ermutigt dazu, sich auf diesen riskanten Weg zu begeben und sich an den Satz von Jesus zu halten: "Steck dein Schwert an seinen Ort!"
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Sören Gundermann, Europe Variations, Track 06, Chaconne Sauvage
2. Sören Gundermann, Europe Variations, Track 04 West-östlicher Divan