Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Josh Rocklage
Magnificat
Morgenandacht von Pfarrer Jörg Machel
08.05.2024 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Die mit Jesus schwangere Maria stimmt im Neuen Testament ein Lied an. Später wird man es das Magnificat nennen. Das Lied der Maria hat eine Parallele im Alten Testament. Lange vor Jesu Geburt entstand das Lied der Mirjam. Mirjam und Maria verbindet: Sie singen vom Ende der Tyrannei. Mirjam besingt die Rettung der Israeliten vor den Nachstellungen des Pharao. Es ist ein Freiheitslied: „Lasst uns Gott singen, denn er ist hoch erhaben.“ (2. Mose 15,20)

Ganz ähnlich beginnt das Magnificat von Maria, der Mutter Jesu: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ Und weiter singt Maria: Gott „übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Maria beendet ihr Lied mit der Strophe: Gott „gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit“.

Meine Seele erhebt den Herrn. Auf Latein heißt das „Magnificat anima mea dominum“. Daher kommt der Name für das Lied: das Magnificat. Hier, ganz am Anfang, noch vor Jesu Geburt, verkündet Maria das Programm seines Lebens. Eine einfache Frau gibt bekannt, was wir von dem Kind erwarten dürfen, das sie da unter ihrem Herzen trägt.

Es ist eine Kampfansage. Ahnt sie, was das bedeutet, für sie, für ihren Sohn? Die Gewaltigen vom Thron stoßen, den Reichen ihre Pfründe streitig machen, Barmherzigkeit üben, wo doch alles auf dem Prinzip der Stärke fußt? Das wird nicht unbeantwortet bleiben.

Gott will es so, das verkündet Maria, aber er, ihr Sohn, soll es richten. Maria ist Jüdin. Sie kennt die Geschichten ihres Volkes, sie kennt die Biografien der Propheten, sie weiß um deren grausames Ende. Im Magnificat sagt sie, was kommen wird.

Das ist ein starker Auftakt. Ich frage mich, wo diese kämpferische Maria bleibt in den folgenden Kapiteln der Bibel. Hat man ihre Stimme nicht mehr hören wollen? Hat sie das Feld ganz ihrem Sohn überlassen?

Wurde der große Traum vom radikalen Umsturz von den kleinen Gefahren ihres Alltags aufgezehrt? Haben die Nachstellungen des gewalttätigen Königs Herodes Maria stumm werden lassen?

Als ihr Sohn tat, was sie vorausahnte, scheint sie selbst zu verstummen. Sie meinte, dann wohl doch ein ganz normales Kind geboren zu haben, und war überrascht, ihn im Tempel zu finden statt in der Menge der Kinder. Später war sie sich nicht mehr sicher, ob ihr inzwischen erwachsener Sohn ganz bei Verstand sei, als er weit weg von Zuhause zum Heiler und Wundertäter avancierte.

Unter dem Kreuz finden wir sie wieder, als die trauernde Mutter. Sie trauert, aber bleibt stumm. Sind es die Evangelisten, die ihr die Stimme nehmen? Oder ist sie tatsächlich verstummt angesichts der Dramatik des Geschehens?

Ich stelle Fragen, denen sich die Erzählungen der Evangelien verweigern. Sie folgen dem Weg Jesu und lassen Randfiguren immer nur da auftreten, wo sie diesen Weg erhellen.

Damit will ich mich nicht abfinden. Mir sind die Worte des Magnificat zu eindrücklich, um sie nur als ein Präludium zum Leben Jesu stehen zu lassen.

Ich finde, Maria verdient es als Person, für diese Worte gewürdigt zu werden. Sie, eine Frau in einer durch und durch patriarchalen Welt, stimmt einen revolutionären Gesang an. Sie gibt denen, die ganz unten sind, Hoffnung und droht denen, die auf Gewalt und Unterdrückung bauen, ihren Untergang an. Das ist revolutionär. Bis heute.

Es gilt das gesprochene Wort.