Morgenandacht
Mach’s mit links, aber tu’s recht
13.08.2015 06:35

Der geniale Michelangelo malte die Sixtinische Kapelle mit ihr. Paul McCartney nahm sie lieber zum Gitarrespielen, und Goethe schrieb damit seinen Faust. Mesut Ösil und Toni Kroos dürfen sie zwar nicht beim Fußballspielen benutzen. Aber sie brauchen sie immer, um ihre Millionenverträge zu unterschreiben. Trotzdem war sie lange Zeit in Verruf: Die linke Hand.

Heute darf mit ihr gespielt und gemalt, gegrüßt und gewunken werden, heute darf ihr Daumen in die Höhe gereckt werden. Heute ist nämlich Weltlinkshändertag.

Gerhard Schröder, dessen Tag das heute auch ist, musste seine Politik der ruhigen Hand noch mit rechts machen. Denn er gehörte zur Generation der Kinder, die gezwungen wurden, „das schöne Händchen“ zu benutzen. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Linke beim Schreibunterricht in der Schule in einen Wollhandschuh gepackt wurde. Solcherart Dressur zur Rechtshändigkeit war nicht lustig. Sie hat bei manchen Betroffenen zu Konzentrations- und Sprachstörungen, Legasthenie und seelischen Problemen geführt.

 

Dass man „mit links“ nur Dinge tut, die nicht so viel Präzision benötigen – dieses Vorurteil wird schon in der Bibel ausdrücklich ausgeräumt. Da heißt es in einer Kriegsgeschichte über eine militärische Eliteeinheit: Unter dem Volk waren siebenhundert auserlesene Männer, die linkshändig waren und mit der Schleuder ein Haar treffen konnten, ohne zu fehlen. (Richter 20,16)

Doch diesem Zitat zum trotz kann man den üblen Ruch der linken Seite bis in die ältesten Zeiten finden. Von links kamen die schlechten Prophezeiungen, auf der linken Seite war das Totenreich. Das macht sich auch in der Sprache bemerkbar. Die Sprachverwandten von „rechts“ sind das ehrenwerte Recht und die noble Aufrichtigkeit. Die Verwandtschaft von „links“ liest sich eher wie eine Liste der missratenen Familienmitglieder: link, linkisch, linken. Die Linke hat es auch in der Bibel nicht leicht. Das sieht man spätestens, wenn man die zahlreichen Gemälde vom göttlichen Weltgericht anschaut. Zur Rechten des Richters steigen die Seelen der Geretteten zur ewigen Seligkeit in himmlische Freuden empor. Wehe aber denen auf seiner linken Seite. Sie werden von martialischen Teufeln und fratzengesichtigen Kreaturen der Hölle traktiert und in das feurige Inferno hinabgezogen.

 

Heute darf man in der Schule alles mit links machen. Das steht jetzt sogar in den Richtlinien. Und siehe da, diejenigen, die sich früher linkisch anstellten, weil ihnen die Rechte aufgenötigt wurde, erweisen sich als durchaus behände. Linkshändigkeit ist kein Makel, keine schlechte Angewohnheit und auch kein Defekt, sie ist einfach angeboren. Es ist übrigens ebenso ein Vorurteil, dass Linkshändern damit zugleich besondere Kreativität oder Genialität in die Wiege gelegt sei. Sie vollbringen mit links denselben Feinsinn und denselben Blödsinn wie Rechtshänder.

 

Die menschliche Marotte, angeborene Eigenschaften wie Händigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht oder Hautfarbe in ein Vorrecht oder einen Makel umzuwandeln, gehört zum Repertoire der Menschenfeindlichkeit, gerne politisch rechts außen benutzt. Es ist Unrecht. Recht tun kann man mit links oder mit rechts oder auch freihändig. Es ist nicht angeboren. Dazu kann und muss man sich entscheiden. Das Rechte, das sind in der Bibel die sieben Werke der Barmherzigkeit:

Hungrige speisen; Durstige tränken; Fremde beherbergen; Nackte kleiden; Kranke pflegen; Gefangene besuchen; Tote bestatten. Die, die das tun, wird Christus am Ende zu seiner Rechten stellen, steht in der Bibel (Mt 25, 34). Sie nennt sie die Gesegneten des Herrn.

Sendungen von Pfarrerin Silke Niemeyer