Gemeinfrei via Unsplash/ Cash Macanaya
KI: Das Künstliche Kalb
von Pfarrerin Silke Niemeyer
25.07.2024 06:20
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Für mich ist es eine reizvolle Vorstellung, dereinst Hilfe von einer unaufdringlichen Maschine zu haben, wenn ich mir mal alt und wacklig bin. Pflegekräfte werden fehlen. Ich habe nichts dagegen, wenn ein Roboter mir diskret bei intimen Verrichtungen zu Diensten ist. Er soll ja nicht zu meinem besten Freund werden. Und wenn Künstliche Intelligenz die Therapie so zielgenau macht, dass ich mehr Überlebenschancen habe als der Krebs: wunderbar!

Ich bin bereit mir von KI viel abnehmen zu lassen. Aber ich bin nicht bereit mir das Denken abnehmen zu lassen oder meine Stimme. Und das Fühlen, womöglich auch. Bequemer wäre es ja manchmal. Sind wir Menschen irgendwann sogar bereit, uns das abnehmen zu lassen, was wir mit dem alten Wort "Seele" beschreiben? Die Seele gehört zu dem, von dem fast unmöglich zu sagen ist, was es genau sei – bis zu dem Moment, in dem wir es verlieren. Dann wissen wir es genau. Was seelenlose Schönheit oder seelenlose Medizin sind, wissen wir in dem Augenblick, in dem wir ihnen begegnen. So ist es auch mit der unantastbaren "Würde. Wir wissen in dem Augenblick, dass es sie gibt und wo sie steckt, wenn sie angetastet wird.

Rettung des Denkens, Rettung des Fühlens, Rettung der Seele und Rettung der Menschenwürde, das sind die Aufgaben. Dazu ist es nötig die religiöse Besoffenheit ausnüchtern, mit der das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit von KI gefeiert wird.

Als Ray Kurzweil, Chef-Entwickler bei Google, gefragt wurde, ob es einen Gott gibt, war seine Antwort: "Noch nicht."

Sich einen Gott zu schaffen, ist ein uralter Wunsch. Als die Israeliten am Berg Sinai zu lang auf Mose und seine Gottesoffenbarung warten müssen, werden sie selbst aktiv: Beseelt vom Wunsch einen glänzenden Gott zu haben, sammelt das Volk alles Gold und macht daraus ein imponierendes Idol in Form eines Jungstiers. Berauscht tanzen alle um den Stier und beten ihn an. Aber der Hype endet in Ernüchterung. Gott unterbricht den Spuk und befiehlt den Götzen zu Staub zu zermahlen. Den müssen sie fressen und ausscheiden und erkennen. Das war ein großer Scheiß!

Der Mensch ist großartig. Seine Nervenbahnen sind 5,8 Millionen Kilometer lang. Zu seiner Größe gehört auch dies: er ist unvollkommen und begrenzt, vergänglich und sterblich, schuldanfällig und fehlerhaft. Darin besteht seine Würde, dass er damit lebt, sich daran müht, darüber weint oder lacht, dagegen kämpft, darunter leidet und daran wachsen kann. Ich will, dass das so bleibt. Ich will keine perfekte Welt mit perfekten Maschinen, die alle menschlichen Unzulänglichkeiten ausmerzen. Das ist ein Alptraum. Wo bliebe da Platz für die Liebe?

Es gilt das gesprochene Wort.

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