Tech-Apostel verheißen eine fehlerfreie Zukunft der Superintelligenzen. Umso mehr fordert unsere Autorin das Recht auf Unvollkommenheit und Vergessen.
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Es wird Zeit das Unvollkommene zu loben. Ich spreche heute für alles, was nicht optimal und supergut, nicht fertig und fehlerlos, nicht glatt und geschniegelt ist. Ich spreche für alles, was vorläufig, anfällig und verbesserungsfähig ist. Und nicht zu vergessen: ich plädiere auch für das Vergessen.
Warum? Eine fehlerfreie, allwissende Superintelligenz, die die Welt perfekt macht, ist für mich eine Horrorvorstellung. Erstmal klingt das verführerisch: Künstliche Intelligenz schafft vollendete Lösungen für alles, was die Zukunft bedroht. Das ist die smarte Erlösungsreligion der Tech-Apostel. Wir dummen Menschen müssen uns dann nicht mehr damit quälen. Verantwortung, ade! Die heiklen Entscheidungen fürs Klima, für die Sicherheit, für den Weltfrieden werden uns abgenommen von Maschinenschlauheit. Und wir, wir können ...
Ja, was können wir eigentlich, wenn wir nichts mehr können müssen und nichts mehr müssen müssen und dann auch noch hundert Jahre länger leben? Wer will in so einer Zukunft noch leben? Ich nicht. Denn wo werde ich dieses wunderbare Gefühl erleben, gebraucht zu werden. Wozu soll ich lernen, wozu überhaupt noch leben, wenn eine Maschine es am Ende immer besser weiß, wenn ihr mehr vertraut wird als mir, wenn sie besser ankommt, wenn sie mir die Arbeit abnimmt und auch noch billiger ist? Wie kann ich gewiss sein, dass es mich nur als Original und nicht als optimierte Kopie gibt?
Das ist alles noch Zukunftsmusik. Aber einige Töne ihrer Melodie wehen schon rüber und sie klingen schräg. "Die lassen sich ihre Texte natürlich von KI schreiben", erzählt mir eine, die an der Uni lehrt, über ihre Studierenden. Und grinst: "Ich kann es nicht beweisen, aber ich kann sie spüren lassen, dass ich es weiß." Ich schmunzle mit. Aber eigentlich ist es ja zum Heulen. Eigentlich müsste man doch tieftraurig werden über dieses seltsame "Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß". Die persönliche Leistung steht unter Verdacht. Das Lob steht unter Vorbehalt. Und allen ist es bewusst. Das ist sowas wie Läusebefall fürs Selbstbewusstsein.
Im Übrigen bestehe ich auf dem Vergessen. Was für ein Segen, dass die Erinnerung nicht total und das Gedächtnis nicht absolut ist. Wie gut, dass manche Entscheidungen und Erfindungen einfach vergessen wurden. Wie gut, dass an manche Peinlichkeiten nicht mehr gedacht wird. Das hält das Zusammenleben geschmeidig. Wie gut, dass nicht alles gespeichert und als Information abrufbar ist. Dass man also sich gegenseitig erzählen und erinnern muss: Wie war das nochmal? Dass man rätseln und ringen muss, was wahr ist – und nie damit fertig wird. Wahrheit ist ja so viel mehr als die totale Information.
Die KI verlässt das menschliche Maß, so hilfreich sie im Einzelfall auch sein kann. Es ist schon jetzt dringend, diese Technologie so einzuhegen, dass wir menschlich Mensch bleiben können. Ganz elementar gehört unsere Endlichkeit dazu: "Des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne." heißt es im Psalm 146.(Psalm 146,4) Übersetzt ins Heute heißt das: Mangelhaftigkeit gehört zur Menschlichkeit des Menschen. Er ist unvollkommen, er macht sich schuldig, er verzweifelt, er scheitert, er stirbt. Daran leidet der Mensch manchmal wie ein Hund. Trotzdem: Es ist gruselig, das ausmerzen zu wollen. Weil der Mensch unvollkommen ist, kann er Liebe erleben. Weil er schuldig wird, kann er Vergebung erleben. Weil er verzweifelt, kann er Trost erleben. Weil er scheitert, kann er Hilfe erleben. Weil er sterblich ist, kann er auferstehen. Lieben aber und vergeben, trösten, helfen und wiederaufstehen sind doch die Wunder des Lebens. Ohne sie wäre es ein armes Leben, und wäre es noch so lang.
Es gilt das gesprochene Wort.
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