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Die Sendung zum Nachlesen:
Ich glaube an Jesus Christus,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben.
Ausgerechnet Pontius Pilatus. Ausgerechnet sein Name wird im Glaubensbekenntnis unsterblich gemacht. Aber gilt nicht auch: Man muss den Schuldigen beim Namen nennen? Man darf nicht vergessen, wer Jesus ans Kreuz gebracht hat. Das war Pontius Pilatus, der Statthalter des römischen Kaisers; in den Jahren von 26 bis 36 regierte er die Provinz Judäa.
Seit Jahrhunderten spricht die christliche Gemeinde seinen Namen öffentlich aus. Und doch hält sich bis heute hartnäckig die antisemitische Mär von der jüdischen Kollektivschuld an Jesu Tod: „Die Juden waren’s. Pontius Pilatus hat ja versucht, Jesus freizubekommen, aber er ist nicht gegen die Juden angekommen. Es war Hilflosigkeit, die ihn seine Hände in Unschuld waschen ließ.“ So geht die scheinbar unausrottbare antijüdische Erzählung von Christen.
Christian Stückl, der Leiter der Oberammergauer Passionsspiele, müht sich seit Jahrzehnten dieses Ressentiment zu überwinden. Vor zwanzig Jahren hat er deshalb den geflügelten Pilatus-Satz bewusst weggelassen: „Ich wasche meine Hände in Unschuld“. Danach, so erzählt er, haben ihm Leute gesagt, sie hätten den Satz noch nie so toll gehört (1). So tief steckt dieser Satz in unserer Kultur, dass er auch dann gehört wird, wenn er gar nicht ausgesprochen wurde.
In den Passionsspielen dieses Jahres schleuderte Pilatus das Wasser unwirsch mit schwungvoller Geste aus der Schüssel, dass es nur so spritzte. Kein Zweifel, dieser Mann ist ganz und gar nicht unschuldig.
Und kein Zweifel: dieser Jesus ist selbst Jude, er gehört zu den Juden, er hält ihre Tora hoch, spricht ihre Gebete, feiert ihre Feste. Er ist nicht so etwas wie der erste Christ. Christian Stückl macht Ernst mit dem, was die Bibelwissenschaft seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts herausgearbeitet hat. Die Evangelien erzählen einen innerjüdischen Konflikt. Da streiten Juden heftig untereinander über die Auslegung der Tora unter dem römischen Gewaltregime. Dieses Regime ist es, das ihren religiösen Streit um die Wahrheit politisch so gefährlich macht. Den abgebrühten römischen Statthalter Pilatus langweilen diese Juden schlicht; ihr Gezänk über ihren Gott interessiert ihn nicht die Bohne. Was ihn aber interessiert, und das mit aller Macht: Keine Rebellion! Kein Aufstand! Es muss Ruhe herrschen.
„Was ist Wahrheit?“ fragt Pilatus Jesus im Prozess. Das klingt nur vordergründig tiefsinnig. Noch nie habe ich die berühmte Frage so überzeugend ausgelegt gesehen wie in Oberammergau. Hier spricht kein feingeistiger Philosoph, hier spricht ein knallharter Zyniker. Und der beantwortet seine Frage gleich selbst: „Das ist Wahrheit“, herrscht er Jesus an – und schlägt ihm ins Gesicht.
Wer die Macht hat, entscheidet über die Wahrheit.
Das Apostolische Glaubensbekenntnis erinnert an Jesus, gelitten unter Pontius Pilatus, unter ihm gekreuzigt, gestorben und begraben. Es setzt damit all denen ein Denkmal, die verhöhnt, verprügelt, verhaftet, gefoltert und hingerichtet werden, weil sie die Wahrheit sagen, die den Pilatussen unerträglich ist. Im Namen Jesu ist auch ihr Name gewürdigt.
Mehr noch. Das Bekenntnis fordert, die Täterinnen und Täter beim Namen zu nennen, die nach der Tat ihre Hände gern in Unschuld waschen. Für mich heißt das auch: Es ist nicht unbarmherzig oder unchristlich, es ist richtig, wenn KZ-Täter und Täterinnen vor Gericht gestellt werden, auch wenn sie hochbetagt sind.
Beide Namen bleiben im Gedächtnis: Jesus und Pontius Pilatus.
Die Frage ist, an wen von beiden man glaubt.
Ich glaube an Jesus Christus.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur dieser Sendung: