Am Sonntagmorgen
Bild: Neon Tommy / Katie Buenneke (via wikimedia)
"Take Me To Church"
Willkommen wie du bist?
27.09.2015 08:35

Der Scheiterhaufen brennt. Ein Mann in Panik nimmt eine Kiste aus dem Regal. Hektisch wickelt er eine Metallkette darum und hängt ein Schloss davor. Er rennt aufs Feld, gräbt mit einem Spaten ein Loch und verscharrt die Truhe. Sein Freund kommt dazu. Die beiden Männer umarmen sich. Nebeneinander kehren sie zurück zu den Häusern. Andere schauen ihnen finster hinterher. Die beiden gehen zu einem See. Sie lassen Steine übers Wasser springen. Dann küssen sie sich.

 

Szenenwechsel. Es ist Nacht. Sechs Typen, die Kapuze tief in die Stirn gezogen und das Gesicht mit Schal vermummt, brechen in das Haus des einen Mannes ein. Sie zerren ihn aus dem Bett und schleifen ihn zum Scheiterhaufen. Er schreit und wehrt sich. Einer hält ihm ein Messer an die Kehle. Die verschlossene Truhe haben sie ausgegraben. Mit einer Stange brechen sie die Kiste auf und werfen alles ins Feuer. Zwei halten den Mann am Boden fest. Die anderen treten ihn mit Füßen. Sein Freund ist hinterher gelaufen. Aus der Ferne sieht er, wie die Typen seinen Geliebten schlagen. Er kann nichts tun. Der Scheiterhaufen brennt.

 

Das ist das Video zu dem Song „Take me to church“ von Hozier, einem Singer-Song-Writer aus Irland. „Take me to church!“ Das heißt so viel wie: „Gib mir meinen Glauben zurück!“ 23 Wochen in Folge war das Lied die Nummer eins der Hot Rock Charts in den USA. Der heute 25-jährige Musiker Hozier sagt, er habe sich den Song in einer Nacht von der Seele geschrieben.

 

Er wollte ein Zeichen setzen gegen Homophobie. Das Lied ist ein Protestschrei gegen den Hass und die Gewalt, die Schwulen und Lesben angetan wird. Und dagegen, wie die Kirche in Irland Homosexuelle zu Sündern macht und so die Gewalttäter befeuert. „A fresh poison each week“ - „Jede Woche eine frische Portion Gift“, singt Hozier. „Du bist krank geboren.“ Mit dieser Botschaft, so der Sänger, treibt die Kirche gleichgeschlechtlich liebenden Menschen nicht nur das Selbstwertgefühl aus – sondern auch den Glauben. „Take me to church“ – „Gib mir meinen Glauben zurück.“

 

 

„Take me to church“ – „Gib mir meinen Glauben zurück.“ Der Sänger Hozier sagt, es gehe ihm nicht allein um die katholische Kirche. Er wollte zeigen, wie Religionen, aber auch ganze Gesellschaften giftig werden, wenn sie ihre Macht missbrauchen. Der Musiker mit der souligen Stimme sieht, wie im Putin-Russland Lesben und Schwule diskriminiert werden. Und er kennt den Mechanismus des Machtmissbrauchs aus seiner Heimat Irland. Hozier beschreibt das in einem Interview so:

 

„Dem Ganzen liegt die Idee zugrunde, dass ein Kind, wenn es geboren wird, sogleich in Sünde hineingeboren wird. Man wird also schon, bevor man eine Frau oder ein schwuler Mann wird, einfach als Mensch, zum Sünder degradiert, zu jemandem, der sich schämen und um Vergebung bitten sollte. Ich wollte Sex als etwas Lebensbejahendes darstellen; es gibt kaum etwas Menschlicheres als den Liebesakt.“ [i]

 

So weit der Sänger Hozier. Viele gehen davon aus, dass er selber schwul sei. Der Ire sagt dazu:

 

„Das macht mir nichts aus. Für mich ist es nicht der entscheidende Punkt. Es ist egal, was meine sexuelle Orientierung ist.“ [ii]

 

In Irland sehen das mittlerweile immer mehr Leute wie Hozier. Das katholisch geprägte Land hat sich bei einem Referendum im Mai deutlich für die Ehe von schwulen und lesbischen Paaren ausgesprochen. Über 60 Prozent der Iren stimmten mit Ja. „Eine Niederlage für die Menschheit” nennt Kurienkardinal Pietro Parolin das Votum. Der Mann ist nicht irgendwer im Vatikan, sondern eine Art Premierminister des Papstes. „Niederlage für die Menschheit.” Schlimmer geht es nicht. Welche Begriffe bleiben dem Kardinal dann noch, um Krieg oder Völkermord zu verurteilen?

 

In der evangelischen Kirche in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren viel getan, was die Akzeptanz von Lesben und Schwulen betrifft. Aber das Thema ist nach wie vor ein heißes Eisen. Und immer noch gibt es Stimmen, die Homosexualität verdammen. In Sachsen ist Carsten Rentzing seit August evangelischer Landesbischof. Vor seiner Einführung sagte er in einem Interview:

 

„Die Bibel sagt, dass die homosexuelle Lebensweise nicht dem Willen Gottes entspricht. Diese Aussagen der Bibel machen es mir persönlich schwer, jemandem zu raten, dass er seine Homosexualität leben solle.” [iii]

 

Freilich, wenn eine Kirchengemeinde partout einen Pfarrer will, der mit seinem Partner im Pfarrhaus lebt, dann werde er, Rentzing, dazu stehen. Rentzing sagt:

 

„Das gehört zu der Last, die ein Bischof tragen muss. Man steht dann für Dinge ein, bei denen man teilweise theologisch anderer Auffassung ist.“ [iv]

 

Niederlage für die Menschheit. Last. Die Drohung, dass das Seelenheil verspielt, wer gleichgeschlechtlich liebt. Was richten solche Worte an? Ein 15-jähriger Junge schreibt in sein Tagebuch:

 

„Oh lieber Gott! Ich fühle mich schuldig, schuldig, schwul zu sein! Ich weiß, wenn Mama, Papa, die Oma wüssten, ich würde alle enttäuschen. Was würden meine Freunde denken? Alle würden sich abwenden. Schwuli. Homo. Das würden sie sagen. Oh Gott, warum ich? Aber das fragt sich wahrscheinlich jeder. Warum häufst du das auf mich? Ich kann den Gedanken nicht ertragen, ein einsames Leben zu verbringen, ohne Liebe, verschrien und einsam. Manchmal würde ich gern Schluss machen, doch das hieße aufgeben.“

 

Der Jugendliche hält an Gott fest. Er schreibt:

 

„Oh Gott, bleib du bei mir. Du hast mich geschaffen, so wie ich bin. Ich will dich nicht um viel bitten. Nur darum, geh mit mir und steh mir bei, wenn mich alle verachten.”

 

Take me to church, singt Hozier. Gib mir meinen Glauben zurück.

 

 

„I’ll tell you my sins so you can sharpen your knife“, singt Hozier. „Ich werde dir meine Sünden beichten und du kannst dein Messer wetzen.“ Manche gebrauchen Bibelworte wie Messer, um anderen damit zu drohen. Was sagt die Bibel zu Homosexualität? Homosexualität ist im Alten und im Neuen Testament – ein Randthema. Gerade mal fünf Stellen gibt es dazu. Zum Vergleich: Das Alte Testament erzählt hunderte Male über die Glaubenserfahrung, dass Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten geführt hat. Jesus im Neuen Testament spricht dutzendfach über Armut und Reichtum. Zu Homosexualität sagt Jesus kein Wort.

 

Es sind also nur fünf Bibelstellen. Aber die haben es in sich. Das 3. Buch Mose nennt es zweimal „ein Gräuel“, wenn ein Mann bei einem Mann liegt wie bei einer Frau. Die beiden sollen des Todes sterben.[v] Fatal wirkte eine Geschichte im Alten Testament, die nichts mit Homosexualität zu tun hat, aber jahrhundertelang so verstanden wurde: Die Erzählung von Sodom und Gomorrha.[vi]

 

Zwei Fremde, Engel, sind zu Gast bei Lot, dem Neffen Abrahams. Da rotten sich die Männer von Sodom, jung und alt, vor Lots Haus zusammen und krakeelen vor seiner Tür: „Gib uns die Männer heraus, die du beherbergst, dass wir uns über sie hermachen!“ Gott rettet Lot und die Seinen und lässt Feuer und Schwefel auf Sodom und Gomorrha regnen.

 

In der Bibel ist nicht gesagt, dass alle jungen und alten Männer Sodoms schwul seien. Es geht um Fremdenhass und Vergewaltigung, um nichts anderes. Wegen dieser Geschichte meinten Christen jahrhundertelang und in manchen Ländern bis heute, sie könnten in Gottes Namen Schwule und Lesben mit Feuer und Schwefel verfolgen und töten. Das ist nicht bibeltreu. Das ist bibelbrutal. Das ist der Scheiterhaufen, den Hozier in seinem Video zeigt. „Take me to church!“ – „Gib mir meinen Glauben zurück!“

 

Im Neuen Testament kommt der Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Mann in zwei Lasterkatalogen vor.[vii] Er steht in einer Reihe mit Lüge, Raub, Götzendienst, Ehebruch. Theologisch das schwerste Gewicht hat eine Passage im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom.[viii] Allein hier geht es in der Bibel nicht um eine Einzelaussage oder ein einzelnes Wort. Paulus holt kräftig aus, und er verdammt Frauen wie Männer, die gleichgeschlechtlichen Sexualverkehr haben.

 

Paulus geht davon aus, dass sie sich aus freien Stücken zur Homosexualität entschieden haben. Einen Menschen des eigenen Geschlechts zu lieben, ist für Paulus widernatürlich. Für ihn ist das so, als würde man sich selbst lieben, in sich selbst verkrümmt sein. Nur sich selbst sehen und nicht den anderen. Damit, so Paulus, beleidige der Mensch Gott. Er wende sich von seinem Schöpfer ab und sich selbst zu. Das nennt Paulus Sünde.

 

So weit der biblische Befund. Es ist nur eine Handvoll Bibelstellen, aber diese nennen Homosexualität ein Gräuel, ein Laster, ein sich Abwenden von Gott.

Zur Auslegung von Bibelworten hat Paulus geschrieben: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“[ix] Es ist eine Frage, die zwischen Leben und Tod entscheidet: Ist die Bibel Gottes Wort Buchstabe für Buchstabe oder ist es der Geist, der in der Bibel erst Gottes Wort erkennen lässt?

 

 

Selbst Menschen, die sich besonders bibeltreu nennen, scheitern, wenn sie die Bibel Buchstabe für Buchstabe als Gottes Wort nehmen. In der Bibel steht: Wenn ein Mann bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, sollen beide des Todes sterben. Konsequenterweise müsste jemand, der die Bibel wortwörtlich nimmt, Schwule töten oder zumindest ihren Tod für gottgewollt halten. Das ist nicht Bibeltreue. Das kann nicht christlicher Glaube sein. Das ist blutrünstiger Fanatismus.

 

Martin Luther hat gesagt, in der Bibel findet man Gottes Wort „in Windeln gewickelt“. Nun wissen wir alle, wozu Windeln da sind. Wir haben Gottes Wort nie in reiner Form, sondern immer verpackt und manchmal auch verunreinigt durch die menschliche Hülle aus Sprache, Kultur, Übersetzungen und Buchstaben. In die ist Gottes Wort eingewickelt.

 

Wer die Bibel mit Geist liest, fragt danach: Was ist die menschliche Hülle? Und versucht, die Hülle auszuwickeln und Gottes Wort zu entdecken. Deutlich wird dann: Den Menschen im Alten Testament ging es bei Sexualität vor allem um eines: um Fortpflanzung, um Nachkommen, um den Erhalt der Sippe. Das Eheleben wurde allein vom Mann her gedacht. Sein Besitzanspruch auf Weib, Knecht, Vieh stand an erster Stelle. Er konnte mehrere Frauen haben, so wie Abraham oder Jakob. Ein Mann konnte seiner Frau den Scheidebrief geben[x] – aber wehe, wenn sie die Ehe brach.[xi] Darum löste Homosexualität in der Handvoll biblischer Texte Abwehr aus und wurde mit Verdammung belegt: Sie führte nicht zu Kindern und stellte die Rollen zwischen Mann und Frau in Frage.

 

Die Menschen im Neuen Testament hatten die griechisch-römische Kultur vor Augen. Da gab es mann-männliche Verhältnisse. Vor allem das zwischen einem erwachsenen höher gestellten Mann zu einem Sklaven oder zu einem Jungen. Der überlegene Ältere musste den aktiven Part haben. Alles andere sorgte für Gespött und Verachtung. Es ging also um Macht. Es ging darum, den anderen zu unterwerfen und zu erniedrigen. „Lustknaben und Knabenschänder“ nennt es das Neue Testament.

 

Zu dem befreienden Gott der Bibel passt eine solche Form der Sexualität nicht.

Es ist durchaus ein frommer Zug, dass die ersten Christen daran Anstoß genommen haben. Nur hat das nichts mit Liebe zwischen Frau und Frau oder Mann und Mann zu tun. Genauso wenig wie sich die Ehevorstellung eines Abraham oder eines Jakob mit seinen vier Frauen[xii] auf die Ehe heute übertragen lässt. Es ist eine Glaubensfrage, wie ich mit meinem Nächsten umgehe, ob Frau oder Mann. In der Liebe wie in jeder Begegnung zwischen Mensch und Mensch.

 

Homosexualität ist keine Heilsfrage. Das Heil kommt von Gott, der Himmel und Erde und Sie und mich gemacht hat. Um den Glauben an Gott geht es. Den kann man in der Bibel finden.

Ich weiß nicht, was sich der Sänger Hozier in die Kiste denkt, die im Video zu seinem Lied der schwule Mann mit Schloss und Kette im Feld vergräbt und zu bewahren versucht. Der Schlägertrupp bricht die Kiste brutal auf und wirft sie auf den Scheiterhaufen. In der Kiste muss etwas sehr Kostbares liegen. Und ich höre als Christ den Kehrvers: „Take me to church!“ – „Gib mir meinen Glauben zurück!“

 

[i] Interview auf universal-music.de, 02.10.2014

[ii] Interview auf universal-music.de; 05.02.2015

[iii] Interview in der „Welt“, 22.08.2015

[iv] Interview in der „Welt“, 22.08.2015

[v] 3. Mose 18, 22; 3. Mose 20, 13

[vi] 1. Mose 19

[vii] 1. Korinther 6, 9; 1. Timotheus 1, 10

[viii] Römer 1, 24 ff

[ix] 2. Korinther 3, 6

[x] 5. Mose 24, 1

[xi] 3. Mose 20, 10

[xii] 1. Mose 35, 23-26