Wort zum Sonntag
Was höre ich in der Stille?
12.09.2015 10:00

Zur Ruhe kommen

Still ist es selten. Ganz still ist es noch seltener, wenn nicht einmal ein Vogelzwitschern zu hören ist. Stille gehört zu den ganz besonderen Erfahrungen in unserem Land. Man muss sie suchen, etwa in einer Kirche oder auf einem Berggipfel. Und manchmal wächst in der Stille etwas Neues, Überraschendes.

 

Wirklich still werden bedeutet: Ich bringe die Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen. Einfach da sein und den Augenblick erleben. Faszinierend, wie der Atem den Körper bewegt: Im Einatmen weitet sich der Brustkorb und im Ausatmen wird er schmal. Ohne dass ich irgendetwas dazu tun muss. Es geschieht von selbst.

Den eigenen Atem zu beobachten ist eine gute Hilfe, um innerlich ruhig zu werden. Denn das ist gar nicht so einfach. Nicht nur wegen des Lärms, der uns umgibt, sondern auch wegen all der großen und kleinen Sorgen, die Aufmerksamkeit verlangen. Gleichzeitig wächst die Sehnsucht nach Ruhe und Stille.

 

Ein Ort für Wunder

Wer nach Stille sucht, findet sie vielleicht in einer offenen Kirche.

Denn innerhalb alter Kirchengemäuer geschieht es meist wie von selbst: Nimmt man Platz, breitet sich um den Besucher herum Stille aus.  So, als ob man einen Kiesel ins Wasser wirft und das Wasser konzentrische Kreise zieht.

Diese Stille tut gut. Sie erfrischt Körper, Geist und Seele.  Wenn der Besucher – wenigstens für diesen Augenblick – sich auf die Stille einlässt, geschieht noch etwas: Es ist, als ob das Herz weiter wird und offener für etwas, das größer ist als man selbst.

Deshalb hat Martin Luther die Stille sehr geschätzt.  Sie war für ihn geradezu notwendig, um immer wieder Kraft zu schöpfen. Denn in der Stille lenkt nichts ab von dem, wonach das Herz sich sehnt. Er schreibt: „Gleichwie die Sonne in einem stillen Wasser gut zu sehen ist und es kräftig erwärmt, kann sie in einem bewegten, rauschenden Wasser nicht deutlich gesehen werden, auch erwärmt sie es nicht so sehr. Darum: Willst auch du erleuchtet und warm werden durch das Evangelium, göttliche Gnade und Wunder sehen, damit dein Herz entbrannt, erleuchtet, andächtig und fröhlich werde, so gehe hin, wo du still sein(...) kannst; da wirst du finden Wunder über Wunder.“ (Zimmerling, P., (2003). Evangelische Spiritualität, Göttingen S.40)

 

Schlafen im Herzen des Sturms

Die Menschen der Bibel finden diese Wunder, wenn sie Gott begegnen. Das kann aber überall passieren, nicht nur an Orten der Stille. Im Gegenteil. Die Bibel erzählt, dass sich Gottes Kraft auch mitten im Sturm zeigt. Zum Beispiel in einem Seesturm, in den Jesus mit seinen Jüngern gerät. Mitten auf dem See befinden sie sich, als das Unwetter aufzieht. Die Jünger geraten in Panik, während Jesus ruhig schläft. Sie müssen ihn erst wecken: „Herr, rette uns, wir gehen unter!“ Seine Reaktion ist angesichts des Sturmes unglaublich gelassen: „Warum fürchtet ihr Euch, Ihr Kleingläubigen?“ Erst nach dieser konfrontierenden Frage bringt Jesus den Sturm zum Schweigen und „eine große Stille tritt ein“. Was geschieht während dieser Zeit?

 

Gottes Kraft stillt Angst und Kummer. Vor allem aber ermöglicht sie den unverstellten Blick auf sich selbst. Und genau deshalb stellt Jesus eine scheinbar so unpassenden Frage. Er hält den Jüngern einen Spiegel vor. Nicht um sie zu beschämen, sondern um sie aufzurütteln. Denn in ihrer panischen Angst sind sie wie gelähmt, zu keinem Handeln fähig. Dabei sind doch erfahrene Fischer unter ihnen. Sie sind nicht so schwach, wie sie sich fühlen.

Die Gelassenheit von Jesus steht im krassen Gegensatz zur Panik der Jünger. So viel Ruhe kann nur einer bewahren, der die eigenen Kräfte kennt und auf Gottes Kraft vertraut.

„Seid still und erkennt, dass ich Gott bin“, heißt es in den Psalmen (Ps. 46,11)

Ob in einer offenen Kirche oder anderswo: An stillen Orten ist es leichter, Vertrauen zu entwickeln auf diese Kraft. Wer sich dieser Stille öffnet, muss nicht auf sich selbst zurück geworfen sein. Sondern erlebt vielleicht das Wunder, wie ein Sturm zur Ruhe kommt: Das ist das Geheimnis lebendiger Stille.