Wenn ich morgens meinen Rechner einschalte und nach meinen E-Mails schaue, finde ich meistens zwei oder drei Mails, die mich zur Unterschrift auffordern. Die Versender schildern irgendein Problem, oft in Deutschland, oft aber auch in Brasilien oder sonst einem Land in Übersee, und sie hoffen, die in Frage kommende Sache mit einer Vielzahl von digitalen Beteiligungen lösen zu können. Meistens verstehe ich zu wenig davon, um mich daran beteiligen zu können, vor allem, wenn es sich um wirtschaftliche Probleme handelt. Manchmal rufe ich dann meinen Sohn an, der als Wirtschaftswissenschaftler davon weit mehr versteht als ich. Meistens rät er mir von der Unterschrift ab und stellt mir das Problem aus völlig anderer Sicht dar. Dann schließe ich meinen E-Mail-Account und wende mich anderen Dingen zu. Manchmal aber brauche ich keine Zeit zum Überlegen, sondern klicke sofort den Button an, mit dem meine Unterschrift dokumentiert wird. Wenn mir direkt klar wird: Hier geht es um Recht und Unrecht. Hier werden Menschen benachteiligt. Hier übergehen die Herrschenden die Rechte und unterdrücken die Menschen in ihrem Land. Oft kristallisiert sich das Verhalten der Machthaber in einer einzigen Person, die es vor ihrer Heimtücke schützen gilt. Ich leiste also meine Unterschrift und denke gleichzeitig: Was mag das wohl nützen! Den Adressaten ist es völlig egal, ob ihr Verhalten einen Unbekannten im fernen Europa stört oder nicht, ob ich dagegen Protest einlege oder die entsprechende E-Mail einfach wegklicke. Das ist wohl richtig; aber dann denke ich: Sollen sie doch wissen, dass ihr Verhalten wahrgenommen und beurteilt wird! Außerdem bekommt es der Leidtragende vielleicht irgendwie mit, dass es da im fernen Deutschland Leute gibt, denen sein Schicksal nicht einfach gleichgültig ist, Menschen, die es wahrnehmen und, und sei es nur durch einen Mausklick auf einen Button in einer E-Mail. Das mag ihn trösten oder sogar stärken. Auch ein wirkungsloser Protest ist wichtig; und wer sagt denn, dass ein massiver Protest nicht doch zumindest nachdenklich macht? Der jüdische Publizist Elie Wiesel jedenfalls ist der Meinung gewesen: „Es mag Zeiten geben, da wir gegen Ungerechtigkeiten machtlos sind, aber wir dürfen nie versäumen, dagegen zu protestieren.“ Wer weiß, wenn es genügend Proteste gegen das sogenannte Dritte Reich gegeben hätte, vielleicht wäre dem Autor und Publizisten das schwere Schicksal erspart geblieben, das ihm die damals Herrschenden angetan haben. „Rede und schweige nicht!“ (Apostelgeschichte 18,9b) sagt Gott in einem Traum zum Apostel Paulus; das gilt im Sinne der Bibel überall da, wo Menschen menschenverachtend aneinander handeln und den Willen Gottes missachten.
Protestleute
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