Spurensuche
Aus der Anonymität des Massengrabs geborgen
06.11.2021 09:00

Eine polnische Zwangsarbeiterin

Am Beginn von Klaus Leutners Entdeckung stand das Geschick einer polnischen Zwangsarbeiterin. Bronislawa Czubakowska hatte in der Jutefabrik der Stadt Brandenburg gearbeitet. Ein Schwelbrand in einer Toilette wurde ihr als Sabotage zur Last gelegt. Sie wurde zum Tode verurteilt und sechsundzwanzigjährig in Plötzensee hingerichtet. Dort hingerichtete Frauen wurden oft zu Forschungszwecken in der Charité obduziert. So auch Bronislawa Czubakowska.

Klaus Leutner war viele Jahre ehrenamtlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und hatte sich viel mit dem Geschick von Menschen befasst, die Opfer des NS-Regimes wurden. Das von Bronislawa Czubakowska bewegte ihn und so wollte der Ruheständler den Ort finden, wo sie bestattet wurde, suchte unzählige Friedhöfe auf und studierte dort die Unterlagen. Vergeblich. Dann gab es einen Hinweis, dass ihre Asche mit der anderer hingerichteter und in der Charité obduzierter Frauen auf dem Friedhof in Altglienicke liegen könnte. Dort entdeckte er etwas, womit er nicht gerechnet hatte.                                                                      

„Gleich, wenn man reinkommt“, erinnert er sich, „auf der linken Seite, steht ein damals verwitterter Stein mit so ein bisschen rot angestrichenen Buchstaben.“

„Den tausendzweihundertvierundachtzig ermordeten Antifaschisten, deren Asche hier bestattet ist,“ ist auf dem Stein zu lesen. Aufgestellt wurde er Mitte der 1950er Jahre auf einer Urnensammelgrabanlage. Mehr eine politische Geste der DDR, die ihre antifaschistische Grundausrichtung demonstrieren wollte, als ein Gedenken an konkrete Menschen und deren Geschick. Denn wer verbarg sich hinter den pauschal als „Antifaschisten“ Etikettierten? Klaus Leutner, der den Ort hatte finden wollen, an dem die hingerichtete Bronislawa Czubakowska ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte, sah sich vor eine neue Recherche-Aufgabe gestellt.

 

Noch in der Hoffnung, den Verbleib der Asche von Bronislawa Czubakowska zu ermitteln, las Klaus Leutner im Bestattungsbuch des Altglienicker Friedhofs. Er fand nur einen Hinweis auf die Asche von achtzig in der Anatomie der Charité untersuchten Leichen, ohne Angabe von Namen. Darunter konnte auch die der jungen Polin sein, Gewissheit ließ sich nicht erringen. Leutner wollte nun den übrigen Bestatteten Namen und Gesicht geben. Die Eintragungen im Bestattungsbuch und die Begleitscheine, die von den Krematorien den Friedhöfen zugestellt wurden, halfen dabei. Leutner fand heraus, dass statt der tausendzweihundertvierundachtzig - wie auf dem Stein zu lesen ist - tausenddreihundertsiebzig Menschen hier bestattet sind. Neben Bombenopfern der letzten Kriegstage und durch Euthanasie ums Leben Gekommene sind es vor allem Insassen von Konzentrationslagern. Der Großteil - etwa tausend - aus Sachsenhausen bei Oranienburg. Darunter waren auch dreiundfünfzig Juden.

 

Jüdisches Leben in Brandenburg

Eine Spurensuche ganz anderer Art als die von Klaus Leutner hat die Kulturwissenschaftlerin Vera Kotowski vom Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam unternommen. Bei ihr ging es von vornherein um das Leben jüdischer Menschen, um die Spuren, die sie im Land Brandenburg

hinterlassen haben. Mit Studenten machte sie sich auf die Suche. Fand Synagogenstandorte heraus, entdeckte religiöse Gegenstände wie einen Koscherstempel für Lebensmittel in einer Schublade oder ein Thora-Fragment in einer Eberswalder Garage. Aber auch Zeitungen, Verzeichnisse jüdischer Bewohner, Postkarten, auf denen Synagogen zu sehen waren und Alltagsgegenstände wie 

ein Ellenmaß.

 

„Es gehörte einem jüdischen Kaufmann, der in hebräischen Buchstaben seinen Namen in diese Elle eingraviert hatte“, erklärt Vera Kotowski. „Mithilfe dieser Elle konnten wir sehr gut seine Geschichte am Ort präsentieren.“

 

Das taten sie und die Studenten auch mit den übrigen aufgefundenen Zeugnissen in einer Ausstellung, die durch die zehn Brandenburgischen Städte gewandert ist, in denen die Gegenstände jüdischen Lebens gefunden wurden.

 

Die Toten haben wieder einen Namen

Im Fall der in Altglienicke bestatteten einstigen jüdischen KZ-Insassen könnte die intensive Spurensuche nun beginnen. Sie und die übrigen in der Urnensammelgrabanlage Bestatteten sind aus der Anonymität geholt worden. Neben ihrem Geburts- und Todesdatum wurden ihre Namen auf einer grünen Glaswand festgehalten, die als eine Art Sammelgrabstein und Gedenkort errichtet worden ist.

 

Auch der namentlich Unbekannten wurde gedacht, unter denen die polnische Zwangsarbeiterin sein kann, die Klaus Leutner zur Suche veranlasst hatte.

 

Sie ist noch nicht zu Ende. Er interessiert sich nun für das Leben derer, deren Asche in Altglienicke ruht. Auch für das Leben der jüdischen KZ-Häftlinge.