Guten Abend, meine Damen und Herren!
Man fängt mit einem kleinen alltäglichen Projekt an, dann artet es plötzlich zu einer Riesensache aus und man stellt sich die großen Lebensfragen. Kennen Sie das? Oder ist das nur so’n typisches Pfarrerding? Am vergangenen Wochenende jedenfalls wollte ich unsere Küche renovieren. Tapeten runter, Laminat raus und dann mal gucken. „Geht bestimmt schnell“, dachte ich. Alte Jeans und zerschlissenes T-Shirt an und los. Die Wandtapeten ließen sich relativ gut runterspachteln. An der Decke kam mir allerdings der halbe Putz entgegen. Da wusste ich nicht, dass es noch viel schlimmer kommen sollte. Weiterhin gut gelaunt machte ich mich an den Boden.
Ich schlug ein Laminatelement raus und es kam ein alter dunkelroter Linoleumbelag zum Vorschein. Mit einem Teppichmesser ging ich noch eine Schicht tiefer. „Was ist das denn?“ Ich erblickte eine weiße Schicht mit einem dunkelbraunen Anstrich. „Und was ist das für ein komischer Geruch?“ genauso wie das Zeug, mit dem mein Opa und ich früher den Jägerzaun gestrichen hatten, krebserregend. Ich nahm das Handy und recherchierte. Giftiger Teerklebstoff wurde bis in die 70er Jahre verwendet, außerdem könnte die weiße Trägerschicht Asbest enthalten.
Und plötzlich wurde aus meiner kleinen Küchengeschichte eine grundsätzliche Lebensgeschichte. Es verlangsamte sich alles wie in Zeitlupe. Ich stierte lange ins Nichts und merkte, wie die Kraft aus mir wich… Natürlich wusste ich auch: Es muss ja nicht zutreffen, was ich da gerade gelesen hatte. Aber alleine die Möglichkeit, dass wir jeden Tag auf kontaminiertem Boden kochen und essen…. „Jetzt hast du auch noch den Lebensmittelpunkt der Wohnung zerstört“, schoss mir durch den Kopf. Ich sah das Chaos in der Küche um mich herum, überall Bauschmutz und der geöffnete Boden. Das war zu viel. „Warum kann es nicht einmal einfach sein? Es ist doch gerade alles sowieso so kompliziert!“ Ich saß in unserer Küche und merkte, dass die vergangenen zwei Jahre nicht spurlos an mir vorüber gegangen waren. „Ich habe keine Kraft mehr.“
„Man Alexander, stell dich doch nicht so an!“ rief meine innere Durchhalte-Abteilung. Aber es ist manchmal so: Mitten im Leben tut sich der Abgrund auf. Bei mir war es halt in der Küche.
Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel: „Lieber Gott, lass es bitte kein Gift unterm Boden sein! Mach das Leben wieder normal!“ Stille - und dann hörte ich meinen alten frommen Lehrer: „Alexander, beten nützt nichts,“ hat er mal gesagt, „aber es hilft.“ „Beten nützt nichts, aber es hilft.“
Hat mein Beten was genützt? Auch nach meinem Stoßgebet ist die Küche eine Katastrophe. Die Bodenproben sind immer noch im Labor und das Loch im Boden ist weiterhin da. Aber mir hat mein Beten geholfen. Mir hat mein Beten geholfen nicht einfach nur stumm in der Küche zu sitzen und zu verzweifeln. Ich glaube, dass mir da jemand zuhört, eine Kraft, die trotz allem mein Leben zusammen hält. Eine Kraft, die da ist, wenn ich selber keine Kraft mehr habe. Dieses Grundvertrauen wünsche ich Ihnen auch - für diese Nacht und für die kommende Zeit.
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg