Zusammen einsam: Wenn Nähe nicht reicht
Samstags nach den Tagesthemen im Ersten
11.10.2025 23:45

Millionenstädte voller Menschen – und trotzdem einsam. Die Berliner Theologin Magdalena Kiess geht in ihrem Wort zum Sonntag der paradoxen Einsamkeit unserer Zeit nach. Ausgehend von einem Umzugserlebnis und erschreckenden Zahlen zum Tag der mentalen Gesundheit stellt sie fest: Selbst in naher Verbundenheit bleibt oft eine Lücke. Doch gerade dort, wo menschliche Nähe an ihre Grenzen kommt, öffnet sich eine andere Dimension der Verbundenheit.

 

Sendetext lesen:

Guten Abend.

Ich bin kürzlich umgezogen. Bei meinem Auszug habe ich mich von einigen näheren Nachbarn verabschiedet. Von den anderen kannte ich nicht mal alle Namen. Anonymes Großstadtleben halt – dachte ich. Bis ich in meiner neuen Wohnung ankam. Noch beim Ausladen kamen Nachbarn an die Tür und haben Hilfe angeboten, haben uns eingeladen. Ich war überwältigt! Im alten Haus sind die meisten an mir vorbeigezogen – wortwörtlich. Jetzt hab ich erlebt, wie mir dieser erste kleine Kontakt das Ankommen erleichtert hat. Ich habe mich gleich willkommen und zugehörig gefühlt.

"Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist", heißt es in der biblischen Schöpfungs-geschichte. Viele Menschen sind es aber. 60 Prozent aller Deutschen fühlen sich sogar immer wieder einsam. Besonders junge Menschen zwischen 16 und 30. Wir leben in Millionenstädten, sehen täglich hunderte Leute. Viele sind selten allein und trotzdem: einsam. Manchmal sogar in Beziehungen oder Familien. Das ist vielleicht die schmerzhafteste Einsamkeit:

Wenn man zusammen ist und sich trotzdem nicht wirklich gesehen fühlt.

Einsamkeit. Sie war auch Thema der völlig überraschenden Unterbrechung gestern Abend in der Halbzeitpause des Länderspiels. Da wurde deutlich: Einsamkeit ist nicht bloß ein blödes Gefühl. Sie macht krank, treibt Menschen in Ablenkungen, auch in Sucht. Sie höhlt das Leben aus.

"Alles wirkliche Leben ist Begegnung", sagt der Religionsphilosoph Martin Buber. Begegnung, die echte Verbundenheit schafft. Aber solche Begegnungen müssen – wie bei meinen neuen Nachbarn – bewusst geschaffen werden.

Und: Selbst in guten Beziehungen, in denen man sich ganz nah fühlt, bleibt manchmal eine kleine Lücke. Als würde ein bisschen Einsamkeit einfach zu uns dazu gehören. Wir sehnen uns danach, ganz gesehen, ganz verstanden zu werden. Und doch bleiben wir uns manchmal fremd. Sogar uns selbst gegenüber.

Das christliche Liebesgebot zeigt mir eine Perspektive: "Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst." Drei Dimensionen, die zusammengehören. Die Verbindung zu anderen, klar. Genauso braucht es die Fürsorge für mich selbst. Und die Verbindung zum großen Ganzen. Zu Gott.

Gott zaubert Einsamkeit nicht einfach weg. Aber er ist da. Er ist da, wenn wir alleine sind und uns das so nicht ausgesucht haben. Er ist da in unserer Sehnsucht nach mehr. Er ist da in den stillen Momenten, wenn wir uns selbst fremd sind – und sogar mitten in der Einsamkeit zu zweit.

Ich bin total dankbar für die Willkommensgesten meiner neuen Nachbarn. Sie erinnern mich daran, dass echte Verbundenheit im Dreiklang entsteht – zu anderen, zu mir selbst und zu dem, was größer ist als wir. Wenn ich auf andere zugehe, komme ich auch mit mir selbst in Kontakt. Und manchmal ahne ich in solchen Momenten etwas von der Verbundenheit, die uns alle trägt.

Die Einsamkeit in unserer Gesellschaft ist real. Der Programmstörer gestern war ein wichtiger Impuls mit der Aktion #melddichmal-wieder. Denn es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.

Es ist gut, wenn wir aufeinander achten – und auch auf uns selbst. Und, wer kann, darf darauf vertrauen, dass da einer ist, der die Lücke füllt, die bleibt.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Nacht.

Kontakt zur Sendung

Johannes Rogge
Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den rbb

Erzbischöfliches Ordinariat Berlin
Niederwallstraße 8-9
10117 Berlin

Telefon: 030 32684 116
E-Mail:  johannes.rogge@erzbistumberlin.de

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