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Was für Geschichten braucht der Frieden? Geht es nach der Oscar-Jury, dann sind es solche wie „Im Westen nichts Neues“. Gleich vier der begehrten Filmpreise hat die deutsche Neuverfilmung des Romans von Erich Maria Remarque in dieser Woche erhalten. Natürlich habe ich sie gesehen. Allerdings nicht ganz. Weil ich das Grauen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs kaum aushalten konnte. Der Film zeigt das gnadenlos: die leeren Augen der Soldaten, die abgerissenen Gliedmaße, das Aufeinandertreffen im Granattrichter, Mann gegen Mann. Wieder und wieder stößt Paul Bäumer dem französischen Soldaten das Bajonett in die Brust. Dann liegen beide im Schlamm. Paul gibt dem Sterbenden Wasser. Sie teilen Fotos und Tränen. Anschließend habe ich abgeschaltet. Das Ende ist ja wie bei den älteren Verfilmungen dasselbe. Auch Paul Bäumer, der junge Kriegsfreiwillige, stirbt.
„Im Westen nichts Neues“ hat mich geprägt. Das Buch, genauso die erste Verfilmung von 1930. Ich muss Krieg nicht erlebt haben, um zu wissen, wie grausam Krieg ist. „Selig sind, die Frieden stiften (Mt 5,9)“. Diese Worte Jesu habe ich als Jugendlicher ganz bewusst als Konfirmationsspruch gewählt. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ So haben es Kirchenvertreter auf einer internationalen Konferenz 1948 formuliert. Und dahinter gibt es für mich kein zurück.
Die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ wirft auch ein Schlaglicht auf den Krieg in der Ukraine. So sagen es einige Politiker in ihren Gratulationen an das deutsche Produktionsteam um Regisseur Edward Berger. Und tatsächlich erinnert die Schlacht um Bachmut an den Stellungskrieg der Jahre 1914-1918. Dabei beschreibt „Im Westen nichts Neues“ vor allem das Leiden der deutschen Soldaten. Es ist die Perspektive der Aggressoren. Schließlich sind die Truppen des Deutschen Kaiserreichs in Belgien und Frankreich einmarschiert. Übertragen auf die aktuelle Situation käme so das Sterben der einfachen russischen Soldaten in den Blick. Das ist ungewohnt und unbequem. Denn meine Sympathien gelten ja den Ukrainerinnen und Ukrainern. Zurecht, wie ich finde. Sie brauchen entschlossenen Beistand. Ihr Land ist überfallen worden, der Bruch des Völkerrechts gehört vor Gericht. Dennoch bleibt diese andere Perspektive wichtig. Weil Krieg zum Schwarz-Weiß-Denken verführt. Aber die Wirklichkeit ist vielschichtig. Auch deshalb bleiben die Worte des Friedenspredigers der Bibel für mich ein wichtiges Korrektiv: „Liebt eure Feinde. Bittet für die, die euch verfolgen (Mt 5,44f.).“
Der Osnabrücker Schriftsteller Erich Maria Remarque hat die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs selbst erlebt. 1928 veröffentlicht er seinen Roman. 1930 erscheint eine Fortsetzung, die viel weniger bekannt ist. Sie heißt „Der Weg zurück“ und schildert die Heimkehr der deutschen Soldaten. Es ist das Porträt einer verzweifelten, desillusionierten und entwurzelten Generation. Von Menschen, die der Krieg gezeichnet hat, die im Alltag des Friedens nur mühsam wieder Fuß fassen können. Mit dem Waffenstillstandsabkommen ist das Töten auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zwar vorbei, dennoch geht der Krieg weiter. Die Männer bringen ihn mit nach Hause. In ihren Gesichtern, mit den zitternden Händen und den fehlenden Gliedmaßen. Vor allem tief drinnen, eingeschlossen in ihren Seelen. Diese Generation trägt den Samen für den nächsten Krieg in sich. Ob Erich Maria Remarque das geahnt hat, schwer zu sagen. Erschreckend jedenfalls, dass die Soldaten mit dem, was sie erlebt haben, alleine bleiben. Wenn sich aus Geschichten lernen lässt, dann hoffentlich dies: Verletzte Seelen müssen umsorgt werden. Psychologisch, freundschaftlich, in Gebet und Gottesdiensten.
Frieden braucht viele Geschichten. Ganz bestimmt solche wie die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“. Da hat Hollywood recht. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass jeder Krieg Menschen zu Verlierern macht. Genauso wichtig bleibt die zarte, beinah flüchtig anmutende Erzählung vom Mann aus Nazareth. Der auf einen Berg gestiegen ist und alle seligpreist, die den Teufelskreis von Gewalt und Gegenwalt durchbrechen.
Es gilt das gesprochene Wort.