Gemeinfrei via Pixabay / Ri Butov
In der Weite des Himmels geborgen
Lieder von Abschied und Trost
20.11.2022 07:05
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Ich gehe über den Friedhof, schaue mir die Gräber an, diese stummen Zeugen vergangenen Lebens.
Ich setze mich auf eine Bank, lese noch einmal die Inschriften, besonders die von dem einen Grab. Die Gedanken wandern in die Vergangenheit – wieder einmal. Was haben wir alles miteinander erlebt - zusammen durchgestanden, gemeinsam genossen…
Die Dämmerung bricht herein - und die Kerzen auf den Gräbern beginnen zu leuchten. Es wird still.

Totensonntag – Ewigkeitssonntag. Heute suchen viele miteinander den Ort, der bleibt und fest ist – bei allem, was sich verändert, was wird und vergeht. Denn sie spüren: Heute sind sie ganz nah bei uns: die Menschen, wir verloren haben…
Und so bedenken wir heute einmal mehr, was Gott uns mit ihnen gegeben und genommen hat.

() Deine Stimme nie mehr hören,
dein Lachen nie mehr sehn,
nie mehr mit dir streiten,
mit dir spazierengehn...
Wie soll ich das begreifen?
Wie soll ich das verstehn?
Du wirst für immer gehn...
Deine Nähe nie mehr spüren,
dein Schmunzeln nie mehr sehn,
nie mehr mit dir feiern,
mit dir im Garten stehn...
Wie soll ich das begreifen?
Wie soll ich das verstehn?
Du wirst für immer gehn...
                   

Viele Bilder sind wieder da, wenn ich mich erinnere, auch Dankbarkeit - gerade für Situationen,  in denen dieser Mensch ein Geschenk für mich war.
Und dann ist auch die Lücke wieder da, der leere Platz. Und es tut wieder weh.

Aber auch das kann ein Geschenk sein, wenn es wehtut – Es wird spürbar, dass uns viel verbindet - immer noch…

… und wie Gottes Liebe durch ein Leben hindurchscheint. Diese Dankbarkeit und Liebe möchte ich bewahren. Sie soll und wird mich weiter prägen.

() Deine Hände nie mehr halten,
dich fragen geht nicht mehr,
nie mehr mit dir essen,
dein Platz, der bleibt nun leer...
Wie soll ich das begreifen?
Wie soll ich das verstehn?
Du wirst für immer gehn...
In der Weite des Himmels geborgen,
in der Nähe Gottes zuhaus –
in meinem Herzen bleibt ein Teil von dir
tagein, tagaus.

Martin Luther hat auf seinem Sterbebett gebetet:
 "Mein Herr Jesu Christ, lass dir mein Seelchen befohlen sein.
O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib lassen
und aus diesem Leben hinweggerissen werden muss,
so weiß ich doch gewiss, dass ich bei dir ewig bleiben kann
und aus deinen Händen mich niemand reißen kann."
1

Das Gebet zeigt, wohin es geht: Wir haben hier keine bleibende Statt – aber die zukünftige suchen wir. Dort werden die Tränen abgewischt  von allen Augen, heißt es. Und keine Krankheit, kein Leiden, kein Schmerz wird mehr sein.
Und dann ist es, als ob er, ob sie, die wir vermissen, im Garten steht – nach getaner Arbeit aufatmet und sagt: Dort gehe ich hin - in einen weiten Horizont - so weit, bis ich im Himmel, bis ich endgültig zu Hause bin.

() In der Weite des Himmels geborgen,
in der Nähe Gottes zuhaus –
in meinem Herzen bleibt ein Teil von dir
tagein, tagaus.

 

Verdrängt eure Toten nicht
in das Reich der Schatten.
Im Dunkeln verzerren sie sich in Gespenster,
klagen alte Schuld ein,
fesseln euer Leben.
Versetzt eure Toten nicht
in den falschen Himmel.
Im Halblicht verklären sie sich zu Heroen,
fordern streng Gehorsam,
prägen euer Leben.
Verschont eure Toten nicht
vor dem Urteil Gottes.
Vom eigenen Denkmal befreit
sind sie menschlich,
ungeschminkte Bilder,
helfen euch zum Leben.
2

Im ausgehenden Mittelalter gab es eine eigenwillige Szenerie: den Totentanz auf dem Friedhof. Er hatte einen anstößigen Hintergrund und zugleich eine hoffnungsvolle Botschaft: Im Tod sind alle gleich. Die großen Standesunterschiede im Leben spielen dann keine Rolle mehr. "Warum könnte es dann nicht auch im Leben anders sein?" fragen sich die Tanzenden. –  Und ihnen wird klar: Eines Tages werden wir alle einmal mit dem Tod tanzen.

Beim Totentanz führt der Tod selbst als eindrucksvolles Gerippe den Tanz an. Ihm folgen die geistlichen und weltlichen Herren, schließlich die einfachen Leute – dazwischen immer wieder der Tod, der Einzelne zum Tanz auffordert - begleitet von einem umfangreichen Instrumentarium:
Neben den Sängerinnen und Sängern gab es Flöten, Schalmeien, Oboen, Dudelsäcke, Hörner und Trompeten, tragbare Orgeln, Zittern, Harfen, Gitarren, Leierkästen, Pauken, Tamburins, Zimbeln, Schellen, Holzklappern und Trommeln. Es war also ziemlich laut.
Plötzlich verstummt alles.
Die vom Tod aufgeforderte Person fällt und stellt sich tot.
»War nun der Tote ein Mann, dann gehen alle Frauen nacheinander zu ihm und küssen ihn. Er muss aber aufpassen, sich dabei nicht zu bewegen. Spielt eine Frau die Rolle der Tanzleiche, dann kommen alle Männer…«
Schließlich fällt fröhliche Musik ein, der Tote steht auf – und alle führen einen großen Rundtanz um ihn auf. Das Prozedere wird mehrfach wiederholt…

() Wenn du kommst und wenn du gehst,
wo du bist und wo du stehst,
denke dran, dass du sterben musst.
Denke dran, dass du sterben musst.
Im Tod, da seid ihr alle gleich,
ob Kaiser, Papst, Mann, Kind und Weib,
ihr werdet einer nach dem andern
hin zu euerm Grabe wandern,
bis ihr endlich alle gleich,
bis ihr endlich alle gleich.           
                           

Mit dem Totentanz, mit dem Tod ist nicht alles zu Ende. Das war damals allen klar. Der Himmel war sehr real. Vor allem aber die Hölle. Und auf großen einprägsamen Bildern konnten alle sehen,
wie die Teufel die Menschen in der Hölle quälen.

"Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" – das war die Hauptfrage, auch die von Martin Luther.
Ein Gott, der mich im jüngsten Gericht freispricht, auch wenn ich keine Ablassbriefe kaufe; und wenn niemand das für mich tut.
In dem Film "Katharina Luther" gibt es eine sehr bewegende Szene. Nachdem Familie Luther Magdalene, eines der Kinder, begraben hat, kommt etwas später die 10-jährige Tochter Margarethe zu ihrer Mutter Katharina, die traurig auf dem Bett sitzt – und sagt: "Du musst nicht traurig sein. Magdalene geht es gut. Sie ist bei Gott. Da ist es hell, warm. Und sie ist glücklich."

Der Tod ist geblieben – und die Trauer auch, wenn ich einen lieben Menschen verloren habe. Aber mit Luther bin ich gewiss: Wir können nicht tiefer fallen als in die Arme Gottes.

() Dir, Gott, will ich vertrauen in schwerer Zeit.
Ich will auf Hoffnung bauen, trotz Traurigkeit;
will weinend noch klar spüren, wie du Kraft gibst.
Du wirst durch Dunkles führen, weil du uns liebst.

Dir, Gott, in Tod und Leben gehört die Zeit.
Gib Kraft, nun herzugeben, schenk Ewigkeit.
Du Zuflucht im Erschrecken, du Trost allein.
Du wirst uns wieder wecken zu neuem Sein.

An einem schönen Sommerabend klingelt bei einer Pastorin das Notfallhandy. Sie wird ins Krankenhaus gerufen: Eine Mutter mit ihrem Kind … verunglückt – mit dem Auto. Die Mutter war einigermaßen glimpflich davongekommen – aber die kleine Tochter, Marie, liegt auf der Intensivstation.
Die Pastorin hat einen kleinen Holzengel mitgenommen, fragt die Mutter, ob sie den Engel vielleicht haben möchte, um sich an etwas festzuhalten. Die Mutter sagt kalt und leer zur Pastorin:  "Der kommt jetzt zu spät" – stößt ihn ein bisschen weg.
Am nächsten Tag stirbt Marie.
Ein paar Tage nach Maries Tod gehen sie zusammen zum Unfallort. Eine viel befahrene Straße. Auf dem Weg bittet die Mutter: "Kann ich den Engel vielleicht doch wiederhaben?" Der Großvater ist auch dabei, hat ein Kreuz aus Birkenholz gebaut. Sie setzen das Kreuz in die Erde, sprechen ein Gebet – und singen das Lied "Du bist ein Engel". Die Mutter zum Kreuz gewandt zu ihrer Tochter: "Du, mein Engel."
Dann gehen sie zurück. Der Engel ist seitdem bei ihr – sagt sie, die Mutter.  Und sie meint nicht nur den aus Holz.

Die Begebenheit geht mir nicht aus dem Kopf, weil ich es so, ja, unbeschreiblich finde, welche Wege Lieder gehen können. Und wie sie manchmal wirklich helfen können. 

() Du nimmst mich an die Hand am Ende
und führst mich in das Licht.
Wenn Du da bist, wird mein Leben leicht.
Du öffnest deine Tür zu einer neuen Wirklichkeit,
die übersteigt Raum und Zeit.
In deiner Nähe habe ich den Himmel erblickt.
Du bist ein Engel, ein Engel, von Gott geschickt.
Du bist ein Engel, ein Engel, von Gott geschickt.

Ich glaube fest daran - und habe es schon am eigenen Leib erfahren: Engel sind in ganz besonderer Weise da, wenn wir in Gefahr sind. Wenn es um Leben und Tod geht. Oft schützen sie uns, reißen uns zurück ins Leben. Aber einmal bringen sie uns zurück zu Gott. Dorthin zurück, wo wir wirklich und ganz zu Hause sind.

Wenn es so weit sein wird mit mir,
brauche ich den Engel in dir.
Sing ein Lied vor dich hin, das ich mag,
und erzähle, was war manchen Tag.
Zünd ein Licht an, das Ängste verscheucht.
Mach die trockenen Lippen mir feucht.
Wisch mir Tränen und Schweiß vom Gesicht.
Der Geruch des Verfalls schreck dich nicht.
Halt ihn fest, meinen Leib, der sich bäumt,
halte fest, was der Geist sich erträumt.
Spür das Klopfen, das schwer in mir dröhnt,
Nimm den Lebenshauch wahr, der verstöhnt.
Wenn es so weit sein wird mit mir,
brauche ich den Engel in dir.
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…und wenn ich dabei bin, wenn es mit jemandem so weit ist?
Wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich glaube, das Wichtigste ist: Da bleiben. Schauen, was er braucht, was sie braucht. Schauen, dass die Hände und die Füße warm bleiben. Ruhig sprechen, ein stilles Lied der Zuversicht singen oder nur summen, Ruhe ausstrahlen, die Hand halten. Und schließlich: den geliebten Menschen loslassen.

() Ich bitte nicht um einen Engel,
der alle Dunkelheit vertreibt.
Ich bitte nur um einen Engel,
der mir ein Licht im Dunkel bleibt.

Ich bitte nicht um einen Engel,
der alle Antwort weiß und sagt.
Ich bitte nur um einen Engel,
der Fragen auszuhalten wagt.

Ich bitte nicht um einen Engel,
vor dem die Bitternis vergeht.
Ich bitte nur um einen Engel,
der mich und meinen Schmerz versteht.

Ich bitte nicht um einen Engel,
der mir das Paradies verspricht.
Ich bitte nur um einen Engel,
der mir zuflüstert: Fürcht‘ dich nicht.

Abschied tut weh. Ich verlier ein Stück von mir. Grüße vom Tod gibt es immer wieder - in meinem ganzen Leben: Wenn mir ein besonderer Augenblick geschenkt wird - kostbar, der mich glücklich macht… Ich kann ihn nicht festhalten.
Wenn mein Kind aus dem Haus geht, Ich kann es nicht festhalten.
Wenn ich das Glück der Liebe erlebe, eine Berührung, einen Kuss, die Nähe. Ich kann sie nicht festhalten. Auch mein Hab und Gut nehm‘ ich nicht mit.

Immer wieder muss ich loslassen. Aber Loslassen schenkt auch Freiheit. So gehe ich durchs Leben.
Es beschert mir Aufbrüche, Umwege und Entdeckungen, Krisen und Wandlungen, wunderschöne und schwere Wege. Und manchmal gibt es Rastplätze, wo ich am liebsten bleiben will - Dort gibt es ein gutes Getränk, etwas Schönes zu essen und eine echte Begegnung mit lieben Menschen.

Martin Luther hat einmal gesagt:
"Wir sind in dieser Welt eilige Gäste. Wir sind hier bloß wie in einem Wirtshaus, wo man ein Glas Bier trinkt und dann wieder weiter
wandert - heimwärts."
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Wie ähnlich Anfang und Ende eines Lebens sind: In beiden Situationen werde ich nicht gefragt.
Dazwischen spüre ich immer wieder einmal, wie kostbar ein Tag ist.
Wenn mir die Zeit durch die Finger rinnt, kann ich dann sagen: "Anhalten?!"  
Und mich fragen: Was wollte ich eigentlich?

Immer wieder Geschwindigkeit herausnehmen aus dem Leben. Zurechtrücken und loslassen, was nicht so wichtig ist. Immer wieder mal versuchen, das Korsett abzustreifen, das Korsett von Ansprüchen, Erwartungen und Wünschen.
Vielleicht fällt es schon vor dem Sterben ab – wenigstens hin und wieder. Und ich bin frei, gehalten und gesegnet.
Das drückt ein Psalm aus unserer Zeit aus, den ich sehr liebe. Friedrich Karl Barth hat ihn geschrieben.

Gott, deinen Namen will ich singen.
Dir entspringt mein Leben.
Aus deiner Schöpfung schöpfe ich,
schöpfe meine Kraft.
In deinem Boden wurzle ich.
Aus dir ziehn meine Sinne Saft.
Deine Farben färben mich.
Deine Schatten schlagen mich.
Dein langer Atem schafft mir Luft.
In deine Nacht verkriech ich mich,
ruhe aus und träume.
Dein Morgen weckt mich auf,
spannt meinen Willen an.
Dein Wille setzt voraus.
Ich setze nach
und tue, was ich kann.
Dein Abendrot führt mich in Weiten.
Ich ahne meine Zeit.
Die Dunkelheit führt mir beizeiten
dein Amen vor,
die unbekannte Ewigkeit.
Gott, deinen Namen will ich singen -
und dann zu guter Letzt
versteck den meinen in deinem großen weiten Kleid.
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() Es war, als hätt’ der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst’.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogen sacht.
Es rauschten leis die Wälder.
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte weit
ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

  1. Martin Luther: Letztes Gebet am Abend, 1546.
  2. Friedrich Karl Barth, Peter Horst: Verdrängt eure Toten nicht, Uns allen blüht der Tod, 1979.
  3. Friedrich Karl Barth: Wenn es so weit sein wird (Flügel im Augenblick), 2009.
  4. Ausspruch Martin Luther.
  5. Friedrich Karl Barth: Gott deinen Namen (Flügel im Augenblick), 2009

Musik dieser Sendung:

  • Fritz Baltruweit: In der Weite des Himmels geborgen, CD-Titel: Ich sing für dich, Track Nr. 11.
  • Fritz Baltruweit: Totentanz, CD-Titel: Auf Luthers Spuren, Track Nr. 4.
  • Fritz Baltruweit: Dir, Gott, will ich vertrauen, CD-Titel: Auf Luthers Spuren, Track Nr. 5.
  • Fritz Baltruweit: Du bist ein Engel, CD-Titel: Gott gab uns Atem, Track Nr. 16.
  • Fritz Baltruweit: Fürch‘ dich nicht, CD-Titel: Hellwache Herzen, Track Nr. 13.
  • Fritz Baltruweit: Mondnacht, CD-Titel: Unterwegs, Track Nr. 16.