Mit dem Virus leben lernen

Maske auf dem Boden

Gemeinfrei via unsplash.com/Claudio Schwarz Purzlbaum

Mit dem Virus leben lernen
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Eberhard Hadem
24.07.2020 - 06:35
09.07.2020
Eberhard Hadem
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Corona ist vorbei! Sagt der eine. – Was, wie? sagt die andere: Corona ist vorbei? Seit wann? Kein Virus verschwindet einfach. Es verändert sich, es mutiert, sagen die Wissenschaftler. Es ist immer noch da. – Ja, aber ich will trotzdem so frei leben wie vor dem Lockdown! Ohne Beschränkungen, mit mehr Freiheit. Nach langer Durststrecke will der Mensch endlich wieder feiern und sich frei fühlen.

Das war wahrscheinlich immer schon so, auch vor ca. 3000 Jahren: Da steigt der Prophet Mose vom heiligen Berg mit den Zehn Geboten unter dem Arm. Als er unten im Tal bei den Menschen ankommt, tanzen die Familiensippen um ein selbst gewähltes ‚Goldenes Kalb‘. Denn sie haben die Schnauze voll! Aus Ägypten sind sie vor ihren Verfolgern in die Wüste geflohen. Und dieser quasi verordnete Wüstenlockdown ist kaum noch auszuhalten! Durch die Wüste zu besseren Zeiten, hatte die tröstende Auskunft von ganz oben geheißen. Doch sie irren schon lange herum. Auf dem Berg berät sich Mose mit der obersten Regierung tagelang, welche Regelungen für gutes gemeinsames Leben – auch in extremen Situationen – gelten sollen. Eigentlich wichtig, aber langwierig und im Grunde wie hinter verschlossenen Türen. Die Unruhe packt die Menschen unten im Tal und sie beginnen die früheren Zeiten zu verklären: Alles war scheinbar schöner und besser als jetzt! Die Maßregelungen von oben müssen ein Ende haben, skandieren sie. Drum lasst uns feiern und Party machen! Und sie kreieren ein ekstatisches Event um ein goldenes Kalb! Bleib bloß weg mit deinen Geboten, Mose! Lass uns in Ruhe!

Irgendwie kann ich die feierlaunigen Menschen heute genauso verstehen wie die rebellierenden Familien in der Wüste. Oben auf dem heiligen Berg sich was Kluges ausdenken, ist das Eine. Und ich meine das, ohne ‚die da oben‘ zu kritisieren. Denn so eine extreme Situation hat noch niemand erlebt, weder damals in der Wüste noch heute mit dem Virus. Natürlich passieren da auch Fehler. Man macht es sich zu leicht, diejenigen zu kritisieren, die ‚da oben‘ ihr Bestes geben, ohne dass sie wissen können, ob es richtig ist, was sie entscheiden.

Unten aber sieht die konkrete Praxis oft ganz anders aus. Klar dürfen Kinder, die erkrankt sind, nicht in den Kindergarten, denn das schützt die anderen. Gilt das aber auch dann, wenn mein Kind nur einen leichten Schnupfen hat? Was soll ich denn noch alles privat organisieren? Außerdem: Die Kinderärzte bitten händeringend, nicht in die Praxis zu kommen, auch nicht zum Testen, sondern abzuwarten. Von solchen Zwickmühlen der Realität wusste man noch nichts, als man oben auf dem Berg die beste Lösung gefunden zu haben glaubte.

Regeln ignorieren und ausbrechen verdrängt die Situation, der keiner entkommen kann – auch nicht beim Tanzen, egal, ob damals in der Wüste oder heute auf der Straße. Mag sein, dass Maske tragen und ‚social distancing‘ wie Gebote von oben wirken. Dass aber ein normales Leben mit Maske und Abstand nicht möglich ist, ist völlig überzogen. Der Punkt ist ein anderer: Verdrängen und ignorant Feiern hilft so wenig wie sich in Angst zu verkriechen. Auf beiden Seiten diktiert das Virus das Verhalten. Solange ich ständig über das nachdenke, was ich nicht haben will, beherrscht das Virus mein Denken.

Viel besser wäre, damit leben zu lernen. Womöglich können wir sogar Neues entdecken, weil wir bewusster und nachhaltiger denken. Ich will nicht mehr auf das Virus starren wie das Kaninchen auf die Schlange, aber auch nicht davor weglaufen. Ich will mit anderen die Freiheiten ausprobieren, die möglich sind, mit Kraft, Phantasie und Kreativität. Gib nicht dem Ding mit C die Macht in deinem Kopf! Habe ein festes Herz, das Gott vertraut – und du wirst mehr Freiheit finden, als du glaubst.

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Es gilt das gesprochene Wort.

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09.07.2020
Eberhard Hadem