Die Sendung zum Nachlesen:
Ich lese im Buch Jeremia: "Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Schwalbe und Drossel halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen." (Jeremia 8,7)
Gott hat es schwer mit den Menschen, so wird im Buch Jeremia erzählt. Jeder Zugvogel weiß, wo er hinmuss und wann die rechte Zeit ist, dorthin aufzubrechen. Der Storch, die Turteltaube, die Schwalbe, die Drossel, sie kennen ihren Weg. Sie tun das Richtige zur richtigen Zeit. An-ders der Mensch, so beobachtet Gott. Der Mensch tut nicht selbstverständlich das Richtige zur richtigen Zeit, obgleich Gott doch Weisungen gegeben hat.
Es ist für die Menschen aber auch viel schwieriger den richtigen Weg zu finden, als für die Zugvögel. Der Instinkt spielt beim Menschen schließlich eine untergeordnete Rolle. Viel ent-scheidender ist die Sozialisation. Sie gibt Orientierung – nein, ich muss es im Plural sagen: Sie gibt Orientierungen.
In mir habe ich einen Chor von Stimmen angesammelt – und es werden jeden Tag mehr. Sie sind anwesend wie unsichtbare Gäste. Ich höre die Stimmen des Vaters und der Mutter, die mir sagen, was richtig ist. Dabei aber sind sich Vater und Mutter auch nicht immer einig. Hinzu kommen die Stimmen meiner Erzieher und Lehrerinnen, meiner Freunde und Freundin-nen, die jeder und jede andere Schwerpunkte im Leben setzen. Und dann gibt es auch noch die Stimmen der weiter Entfernten und der Fiktiven: der Journalistinnen und Autoren, der Romanfiguren und Kinohelden, die mich beeindrucken.
In jeder dieser Stimmen begegnen mir Lebensphilosophien und Meinungen über das, was rich-tig ist. Es ist wahrlich kompliziert. Denn höre ich auf den Rat der einen Stimme, widerspre-che ich damit immer irgendeiner anderen, die es auch nur gut meint.
Es ist so, als würde ich einen sozialen Wohnwagen hinter mir herziehen. Und dieser Wohnwa-gen ist reich bevölkert mit Stimmen, mit Lebenseinstellungen und Orientierungsangeboten. Und wenn ich überlege, was ich tun oder wohin ich mich wenden soll, dann rufen mir aus dem Wohnwagen unzählige Stimmen ihre verschiedenen Meinungen zu.
In dieser Vielstimmigkeit die Orientierung zu behalten ist nicht leicht. Oft bleibt der Zweifel, ob ich mich richtig entschieden habe und der soziale Wohnwagen wird zum Ballast. Die Stim-men, die auf mich einreden und mir Ratschläge erteilen, verunsichern und machen mich ver-zagt. Schließlich kann ich es nicht allen recht machen.
Mit Studentinnen und Studenten habe ich über den sozialen Wohnwagen diskutiert. Wir haben uns gefragt, wie wir mit der Vielzahl an Stimmen umgehen können. Da meldet sich schließlich ein Student und sagt: "Sicher können wir den Wohnwagen nicht abhängen. Das ist unrealis-tisch. Wir sind nun mal soziale Wesen. Aber vielleicht gelingt es mir im Leben ja von Tag zu Tag besser zu entscheiden, wer neben mir auf dem Beifahrersitz Platz nimmt." Ein gelungenes Bild, wie ich finde, und ich frage mich, wen ich mir auf den Beifahrersitz setze.
Gott empfiehlt sich selbst, lese ich in der Bibel. Gott will die erste Stimme unter den vielen möglichen sein.
Und ich stelle mir vor, wie ich mir Worte Gottes auf den Beifahrersitz setze. Aus den vielen möglichen wähle ich einen Vers aus dem Matthäusevangelium aus. Christus spricht: "Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner See-le?" (Mt 16,26).
Mit diesen Worten will ich unterwegs sein.
Es gilt das gesprochene Wort.