Nicht-Vergleichen macht glücklich

Morgenandacht

Unsplash / Johny Goerend

Nicht-Vergleichen macht glücklich
30.09.2021 - 06:35
15.09.2021
Heidrun Dörken
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Wenn du vergleichst, wirst du unglücklich. Ein weiser Spruch der Lebenskunst. Aber wer schafft das, sich nicht mit anderen zu vergleichen? Das Ergebnis jedenfalls ist immer gleich: Immer ist jemand reicher oder schöner, erfolgreicher oder klüger. Es gibt Oben und Unten. Die einen sind drin und die andern draußen.

 

Wenn du vergleichst, wirst du unglücklich. Jesus hat dazu eine Geschichte erzählt vom Weinbergbesitzer und den Arbeitern1. Ein wohlhabender Gutsherr braucht Arbeiter. Damals wie heute schwierig zu bekommen. Heute ist Fachkräftemangel ein Problem der deutschen Wirtschaft. In Jesu Geschichte geht es um Saisonarbeiter. Wie bei uns beim Spargel oder jetzt bei der Weinlese. Wie bei den Werkverträgen in der Fleischindustrie. Wie da gearbeitet wird, ist öfter nicht so, wie es die Würde von Mensch und Arbeit gebietet. Im vergangenen Jahr haben Corona-Ausbrüche teils skandalöse Verhältnisse offenbart: Was die Unterbringung betrifft, was Arbeitszeit und Lohn angeht, mangelnde Kontrollen, Dumping-Preise von Lebensmitteln. Da muss etwas getan werden: Gesetzgeber, Verwaltung, Verbraucherinnen und Verbraucher stehen in der Pflicht.

 

Zu Jesu Zeiten war der Dorfplatz die Agentur für Arbeit. Dort standen die Tagelöhner und warteten. Also geht der Gutsherr morgens hin, handelt den Tageslohn aus, einen Silbergroschen. Dann schickt er die Arbeiter in den Weinberg. Aber er braucht mehr. Nach drei Stunden sieht er weitere Tagelöhner auf dem Markt. „Geht auch ihr in den Weinberg; ich will euch geben, was Recht ist.“ Das wiederholt sich noch dreimal. Die Letzten werden sogar erst eine Stunde vor Arbeitsschluss eingestellt.

 

Abends wird ausgezahlt; die zuletzt eingestellten kommen als Erste dran. Und da passiert das Ungewöhnliche: Alle erhalten einen Silbergroschen, ob sie nur eine Stunde oder den ganzen Tag gearbeitet hatten. Einer protestiert, der schon morgens angefangen hat: „Das ist ungerecht. Wir haben des Tages Last und Hitze getragen, und die da haben nur eine einzige Stunde gearbeitet!“

 

Sie vergleichen; sie sind unglücklich. Haben sie nicht Recht? Schon damals im Kindergottesdienst hatte ich Sympathie für die Protestierer. 

 

Der Gutsbesitzer antwortet: Mein Freund, dazu sage ich dreierlei. Erstens: Du bist mit mir einig geworden und bekommst wie vereinbart dein Geld. Zweitens: Ich kann mit meinem Vermögen machen, was ich will. Und drittens: Bist du etwa neidisch, weil ich gütig bin?

 

Man muss wissen: Der vereinbarte Lohn entsprach dem Tagesbedarf einer ganzen Familie. Es stimmt also, was der Gutsherr gesagt hatte: Ich gebe euch, was Recht ist. „Recht“ heißt bei ihm: Nach Tarif, aber auch: soviel jede und jeder braucht. 

 

Ein bemerkenswerter Arbeitgeber! Offenbar denkt er: Eigentum verpflichtet. Dieser maximal kurze Satz steht im Grundgesetz in Artikel 14 und ist ursprünglich Hugo Sinzheimer zu verdanken, dem Juristen und sozialdemokratischen Politiker jüdischen Glaubens2. Er hatte den Satz vom Eigentum, das verpflichtet, in die Weimarer Verfassung gebracht. Unser Grundgesetz hat ihn übernommen.

 

Eigentum verpflichtet, so handelt der Gutsherr in der Geschichte, die Jesus so abschließt: So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

 

Und damit ist das Vergleichen aufgehoben. Es ist sinnlos geworden, denn vor Gott gelten alle Menschen gleich viel. Gott ist schließlich kein himmlischer Buchhalter. Vielmehr liegen ihm die elementaren Bedürfnisse der Menschen am Herzen. Aller Menschen, besonders aber die der Schwachen und Zuspätgekommenen.

 

Jesus glaubte offenbar: So wie Gott können auch Menschen denken und handeln. Das zeigt seine Bitte im Vaterunser: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.3

Ich glaube: Dann erübrigt sich jeder Vergleich.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Matthäusevangelium 20,1-16

 

2 Weimarer Verfassung § 153, GG 14,2. Vgl. Abraham de Wolf, Hugo Sinzheimer und das jüdische Gesetzesdenken im deutschen Arbeitsrecht, Berlin 2015

 

3 Im Gedenken an den Austausch über das Thema mit Pfarrer Dr. Wolfgang Herrmann (gest. 2013)

 

15.09.2021
Heidrun Dörken