Grußnetzwerk

Morgenandacht
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08.08.2017 - 06:35
08.08.2017
Pfarrerin Lucie Panzer

Sommerferien. Das ist die Zeit für Urlaubsgrüße. Heute schicken die meisten ihre Grüße per WhatsApp oder Instagram. Da kann man selber ein Foto machen, Grüße dazuschreiben und Sekunden später kommt der Gruß beim Empfänger an. Nicht wie früher die Postkarten, die erst ankamen, wenn man schon seit 14 Tagen wieder zu Hause war.

 

Wobei: Ich freue mich immer noch über die altmodischen Ansichtskarten. Wenn meine Kinder verreisen, dann bitte ich sogar ausdrücklich: Schickt mir auch eine Karte – fürs Gästeklo. Das ist bei mir mit Ansichtskarten tapeziert. Wenn die Urlaubsgrüße ankommen, dann stehen sie zuerst eine Weile auf der Kommode im Flur. Und nach einer Weile befestige ich sie mit Klebestreifen auf den Kacheln im Gästeklo.

 

Zugegeben, eine Weile fand ich das albern mit den Ansichtskarten aus dem Urlaub. Es steht ja nichts wirklich Wichtiges drauf, außer „wir genießen den Urlaub und das Wetter ist schön. Viele Grüße…“. Das kann ich mir auch so denken – dachte ich früher. Aber inzwischen habe ich begriffen: Nicht der Inhalt ist wichtig, nicht, was sie mir schreiben, sondern dass sie mir schreiben. Darauf kommt es an. Die Urlaubsgrüße zeigen mir, dass Menschen an mich denken.

 

In Süddeutschland, wo ich lebe, sagen wir übrigens zur Begrüßung „Grüß Gott“. Das ist aber keine Aufforderung, Gott zu grüßen, wie manche Spaßvögel meinen. Genauer müsste das nämlich heißen „Grüß dich Gott!“ Und das ist ein Wunsch. „Möge Gott dich grüßen“. Ich habe nachgelesen: In mittelhochdeutscher Sprache hieß ‚grüezen‘ ursprünglich „segnen, sich zuwenden“. Gott möge sich dir zuwenden und dich segnen. Und das ist ja nun ganz ähnlich, wie bei den Urlaubsgrüßen. Auch da wenden Menschen sich einander zu und manchmal ist das ein Segen.

 

Grüße helfen, dass die Verbundenheit nicht abreißt, wenn man getrennt ist. Sogar in der Bibel gibt es ausführliche Grußlisten, am Ende des Römerbriefes fast eine ganze Seite lang. (Röm 16) Paulus grüßt die Empfänger seines Briefes und bittet die wiederum, andere, weitere Bekannte zu grüßen. Die werden oft noch mit besonderer Wertschätzung genannt. „Grüßt Priska und Aquila, die für mein Leben ihren Hals hingehalten haben…grüßt Epänetus, er war der erste, der sich in Asien für Christus gewinnen ließ… grüßt Andronikus und Junia… die etwas Besonderes sind, weil sie schon vor mir zur Gemeinde gefunden haben“. Und der Briefschreiber gibt Grüße weiter: von seinen Mitarbeitern, von seinen Gastgebern: So entsteht ein richtiges Netzwerk. Menschen lernen sich kennen, wissen voneinander, durch die Grüße, die hin und her gehen.

 

Ich gebe zu – eine Seite lang Grüße: Das ist heute ein bisschen langweilig zu lesen. Aber ich spüre doch, wie das die Verbindung zwischen den Menschen aufrecht gehalten hat. Sie haben gemerkt: Ich bin nicht allein. Es gibt viele, die denken und glauben wie ich. Die kennen mich vielleicht nicht, aber sie denken an mich. Das hat gut getan, damals, glaube ich. So, wie mir heute die Urlaubsgrüße von Kindern, Freunden und Bekannten gut tun.

 

Solche Urlaubsgrüße sind auch eine Chance. Man kann einen Gesprächsfaden aufgreifen, der schon fast abgerissen ist. Ein Gruß aus dem Urlaub kann ein Anfang sein. Da hat man Zeit und Muße dafür. Irgendwo im Café eine Ansichtskarte zu schreiben, das ist eine entspannte Sache. Und es kann helfen, Verbindungen wieder zu beleben. „Vielleicht sehen wir uns mal wieder, wenn ich zurückkomme.“ So kann man anfangen. Und dann zu Hause Ernst damit machen. Einfach mal anrufen. „Wir könnten uns doch mal wieder treffen!“ Vielleicht hat der andere schon darauf gewartet. Vielleicht lebt die Verbindung wieder auf, die mir einmal viel bedeutet hat. So kann es ein Segen werden, wenn ich mich mit meinen Urlaubsgrüßen einem anderen zuwende.

 

Ich stelle mir die vielen Leute vor, die Paulus damals durch seine lange Grußliste miteinander verbunden hat. Die meisten kannten sich wahrscheinlich nicht persönlich. Aber jetzt hatten sie irgendwie miteinander zu tun. Sie wussten voneinander. Und wenn es nötig wäre, könnten sie daran anknüpfen.

 

Genauso sehe ich das mit unserem Süddeutschen „Grüß dich Gott!“. Für mich ist das ein Wunsch, der die Verbindung wach hält. Und wenn es nötig ist, kann man darauf zurückkommen. Für heute also: „Grüß Gott!“ – möge Gott sie segnen!

08.08.2017
Pfarrerin Lucie Panzer