Rückgrat und Nächstenliebe

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Southeastern Premier Roofing

Rückgrat und Nächstenliebe
von Pfarrer Titus Reinmuth
12.04.2022 - 06:35
29.01.2022
Titus Reinmuth
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In der kleinen Kirche sind viele junge Leute, Familien mit Kindern, aber auch Eltern und Großeltern. Die meisten sind schick angezogen. Gleich beginnt der Taufgottesdienst. Ich versuche, das zusammenzukriegen: Bei Bekannten sind gerade zwei Familien aus der Ukraine untergekommen, acht Personen, geflüchtet, die Kinder hatten seit Tagen dieselben Sachen an. Und hier in der Kirche die beiden Täuflinge, die Geschwisterkinder, drei, vier Jahre alt, und ihre Eltern, mit denen ich befreundet bin. Alle sind wir ein wenig herausgeputzt, es sieht aus nach einem friedlichen, behüteten Leben.

Es ist ein katholischer Taufgottesdienst, ein wenig ungewohnt für mich als evangelischen Pfarrer, ich bin hier nur Gast und Teil der Gemeinde. Noch bevor es zur eigentlichen Taufe kommt, werden die beiden Täuflinge gesegnet und mit dem Kreuzzeichen versehen. Der katholische Amtskollege legt seine beiden Hände eng zusammen. So wie er das macht, sieht es aus wie ein kleines Dach. Er geht zu einem der Geschwisterkinder, hält seine Hände über dessen Kopf und fragt: „Sag mal, wozu ist so ein Dach eigentlich gut?“ „Damit es nicht reinregnet“, antwortet der Junge. „Und im Sommer, wenn es richtig heiß ist?“ „Dann hat man Schatten.“ Schnell wird klar: So ein Dach beschützt. „Wenn ich euch so die Hände auflege, sollt ihr spüren: So beschützt mich Gott“, sagt der Pfarrer.

Dann wendet er sich an Eltern und Paten, das Doppelgebot der Liebe steht im Mittelpunkt: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist das Wichtigste. Das vorzuleben, schaffen auch Paten, die für den Glauben nicht so viele eigene Worte haben. Gottesliebe und Nächstenliebe. Aber jetzt ist ja Krieg. Dass Gott seine geliebten Menschen beschützt, dass er sein Dach aufspannt über ihnen, das scheint da in den Kriegsgebieten nicht zu funktionieren. Wie kann das sein? So fragt der Pfarrer. Seine Antwort ist einfach. Das passiert, wenn Menschen nicht auf Gott vertrauen. Wenn sie Gott sogar vergessen. Ist doch klar: Wenn ich glaube, dass Gott mich liebt und beschützt, dann weiß ich tief in meinem Herzen, dass er auch den anderen liebt, und er oder sie genauso leben darf wie ich. Dann werde ich doch niemandem Gewalt antun. Wo Menschen das vergessen, gerät alles aus den Fugen. Wenn sie irgendwelchen mächtigen Herrschern folgen und nicht Gott, dann kann so etwas passieren wie Krieg. Manche Soldaten merken schon, wie falsch das alles ist und desertieren. Sie wollen ihren Nächsten nichts antun. Sie wollen Frieden und fliehen vor dem Krieg.

Das hat der Kollege aber gut erklärt, denke ich so vor mich hin in der Kirchenbank. Später tritt noch eine der Patinnen ans Mikrofon und verliest diesen berühmten Text von Bettina Wegner: Sind so kleine Hände.

„Sind so kleine Hände, winzge Finger dran. Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.“

 Sind so kleine Füße, Ohren, Augen, … die ganze Schönheit und Zerbrechlichkeit des Lebens wird in diesen Zeilen beschrieben. Auch vom Rückgrat ist die Rede: „Ist son kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.“

Ja, denke ich, ein Dach über dem Kopf, eine Familie und Menschen voller Liebe, die sind so wichtig. Und selbst schon ein Segen.  Und der ist nötig, damit so ein Rückgrat auch wachsen kann... Soldaten, die sich weigern in einem ungerechten Krieg ihre Nachbarn zu bekämpfen, die haben so ein Rückgrat. Menschen, die Leid und Flucht aushalten müssen, die brauchen so ein Rückgrat. Und Menschen, die Geflüchteten ein Obdach bieten, die zeigen Haltung.

Gottesliebe und Nächstenliebe…. „Ist son kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.“…

Selten haben diese Worte so gewirkt wie an diesem Nachmittag bei den Taufen in der Kirche.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

29.01.2022
Titus Reinmuth