In Schweden wurde die alljährliche Elchwanderung live im Fernsehen übertragen – mit wachsender weltweiter Fangemeinde. Gut so. Die Natur schenkt Bilder, die manchmal wichtiger sind als die aktuellen Nachrichten.
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Hatten Sie das dieser Tage zufällig gesehen? Es war ein richtiger Hype – auf Social Media, und im Fernsehen, das man gestreamt im Internet weltweit sehen konnte, mit wachsender Fangemeinde. Und vor allem absolut gegen den Trend. Denn es ging um etwas sehr Langsames. Keine Zwei-Sekunden-Schnitte, kein Typ, der dir in Windeseile irgendetwas verklickern will, sondern das Gegenteil: ganz lange Kamerafahrten, ganz behutsame Schwenks, und vor allem schöne Natur. Kaum zu glauben, aber wahr: Die Elchwanderung wurde live im schwedischen Fernsehen übertragen. Diesmal Ende April. Und ich habe staunend reingeschaut.
Während einem die Nachrichten zur absoluten Kurzatmigkeit erziehen, kamen hier: ellenlange Kameraeinstellung auf einen Tümpel. Es bewegt sich kaum etwas, dürre Hälmchen ragen aus dem Wasser. Man hört Wind und ein paar Vögel zwitschern. Irgendwo weit weg schnattern ein paar Enten. Sonst nichts. Minutenlang.
Sind da Elche? Da sind gerade keine Elche. Man kennt zwar die Route, die sie nehmen, aber wann genau sie erscheinen, das weiß man nicht.
Es ist ein bisschen, wie auf einem Hochsitz im Wald. Das kann schon mal dauern, eh man Wild sieht. Aber langweilig ist es nicht.
So schön, denke ich. Intakte Natur, Elche, die seit Jahrtausenden ihre Route kennen, genau wie die Vögel, die Jahr für Jahr wissen, wann und wohin sie losfliegen und wo sie landen wollen. Alles ist in Bewegung, ruhig, fließend.
Da sind die aufgeblasenen politischen Wichtigtuer weit weg. Und ihre neuesten Provokationen auch.
Jetzt sehen wir eine Wiese, ein Fuchs schleicht darüber. Majestätisch sitzt ein großer Greifvogel auf einem großen Stein. Ist das ein Bussard? Alles ist ruhig, und doch ist es spannend. Werden Fuchs und Bussard sich vertragen? Ja, sie respektieren einander.
Krieg in Gaza ist weit weg. Hungernde Kinder im Sudan auch. Neue Bombenbilder aus der Ukraine.
Jetzt sehen wir grünen Waldboden und Birken, ein bisschen Himmel blitzt durch, er ist grau. Wir hören einen Kuckuck und Windrauschen. Sonst nichts. Etwas bewegt sich. Etwas Dunkles. Sind das Elche? Ja, das sind Elche.
Das schwedische Fernsehen hat die ganze Elchroute mit Kameras ausgestattet. Und da laufen sie nun tatsächlich durch den Wald. Gemächlich, majestätisch und voller Ruhe. Dann stehen sie da. Fressen, schauen.
Da ist die Welt in Ordnung. Eine verwegene Idee schleicht sich dazu: Ist vielleicht sogar überhaupt die Welt in Ordnung? Weise geordnet? Nur wir sind in unseren Köpfen überhitzt? Krank vor Schnelligkeit? Vor Angst, vor Wut? Die Elche ziehen ihre Bahn, sie fühlen den Weg. Die Bussarde sitzen auf ihren Steinen und fangen ihre Beute. Die Füchse kennen ihre Reviere. Die Sonne geht auf, die Wolken ziehen dahin, die Sonne geht unter. Der Mond erscheint, die Sterne ziehen ihre Bahnen. Gott atmet ein und aus.
Jetzt bekomme ich Lust, mich an einen See zu setzen und aufs Wasser zu schauen. Nur zu hören, welche Vögel gerade aktiv sind. Ob der leichte Wind irgendwelche winzigen Wellen kräuseln lässt, ob Schilf rauscht. Und ob die Wellen in meiner Seele abebben. Nur durch das Schauen. Vermutlich ist ja alles da, was wir brauchen. Wir finden es in der unfassbar schönen Komplexität namens Schöpfung. An jedem kleinen Tümpel. In jedem Birkenwäldchen. Jeder Monolith kann zum Wellenbrecher für unsere aufgescheuchte Seele werden. Gott ist groß.
Danke an das schwedische Fernsehen für Slow-TV. Ich bin nächstes Jahr gerne wieder mit dabei.
Es gilt das gesprochene Wort.
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