epd-Bild / Maik Schuck
Frieden malen
von Ulrike Greim
Autor
08.05.2025 06:35
Heute vor 80 Jahren endete der 2. Weltkrieg. Eine Erlösung für Millionen Menschen – wie den 15jährigen Thomas, der das KZ Buchenwald überlebt hat. Kunst konnte ihm helfen, die Seelenlast zu mindern.
Sendung nachlesen:

Es sind die handschriftlichen Notizen eines Überlebenden in seinem Tagebuch, sein Eintrag vom 8. Mai:

"Irgendjemand drehte am Knopf unseres Rundfunkapparates und suchte den Äther ab. Überall Jubel. Aus London ertönte der vibrierende Siegessong, das Victory-Zeichen wurde gemorst, begeisterte Stimmen sangen die Marseillaise, die feierliche getragene Melodie der Sowjethymne erklang und das Glockenspiel aus dem Kreml, die Berliner kamen aus den Ruinen hervor, um zu feiern."

So schreibt es vor achtzig Jahren der damals 15-jährige Thomas Geve in sein Notizheft. Er ist im DP-Camp Buchenwald. So heißt das jetzt hier, wo das KZ war, und nun die Überlebenden sein können, im günstigen Fall gepflegt werden, bis sie in der Lage sind, dem Heimweg anzutreten. DP für Displaced Persons, wie die Aliierten sie nannten – mehrere Millionen Menschen, von den Nazis aus ihren Heimatländern verschleppt, in KZs gesperrt und nun befreit, aber häufig krank oder orientierungslos oder aber ohne Chance, gerade einen Transport in die Heimat zu finden.

Thomas Geve ist so einer, er hat Auschwitz überlebt, dann Groß-Rosen, und war ab Februar 1945 in Buchenwald. Hier notiert er:

"8. Mai 1945: Waffenstillstand mit Deutschland. Der Krieg in Europa war vorüber. Der Faschismus hatte kapituliert."

Jubel, gemorstes Victory-Zeichen, Marsellaise, Siegessong und Sowjethymne. So klingt Sieg, aber wie klingt eigentlich Frieden? Und wie mag er in den Ohren dieses 15-Jährigen geklungen haben, dem da noch ganz anderes in der Seele gedröhnt haben musste. Und wie sieht Frieden aus?

In seinen Notizen beginnt Thomas, sich etwas von der Seele zu schreiben und zu malen. Er zeichnet mit Buntstiftstummeln auf ehemaligem SS-Formularpapier. Auf einem Bild sieht man das charakteristische Lagertor. Stacheldraht, dahinter: Panzer. Menschen in blauen Anzügen, die fröhlich Arme schwenken und darunter der Schriftzug: Wir sind frei.

79 dieser jugendlich-naiven Zeichnungen sind erhalten geblieben. Sie dokumentieren das Grauen sehr präzise.

Die Seele scheint eine enorme Kraft zu haben. Das spricht aus den Bildern. Überwinder-Energie. Wo kommt die her? Und wie großartig ist das?!

Thomas Geve kommt nach 1945 wieder zu Kräften, via Schweiz schafft er es, nach Großbritannien auszuwandern – zu seinem Vater. Später emigriert er nach Israel und wird Bauingenieur. Er stirbt 2024 in Haifa.

Kinder werden auch heute an vielen Orten Opfer schwerer Gewalt. Malen und Musik vermögen diese Situationen nicht einfach aus der Welt zu schaffen, beide können aber der Seele helfen.

Also, gebt den Kindern Buntstifte und Papier! Lasst sie malen. Träumen. Erzählen, was in ihnen ist, der Schrecken, die Hoffnung, Verrat und Liebe.

Sie sollen selbst ein Bild davon bekommen, wie es ist, wenn die Hoffnung wächst, dass es wirklich vorbei ist. Damit die Seele Ballast abwerfen kann. Und wieder atmen. Die Chance, zu träumen.

Das wünsche ich allen Kindern – in der Ukraine, in Gaza, in Israel, im Sudan, an allen Orten, in denen sie in Gefahr sind. Sie mögen befreit werden, von ‚displaced‘ auf ‚beheimatet‘ wechseln, einen sicheren Ort finden und Papier und Stifte. Und Musik, die vom Frieden spricht.

In den Erinnerungen an den 8. Mai schreibt Thomas Geve:

"Ich drehte mich auf meinem Kopfkissen um und überlegte. Es war Frieden. Was würden wir daraus machen? Bald würde ich 16 Jahre alt sein. Nicht mehr lange und auch ich könnte mitreden. Dann schlief ich ein und träumte von der Zukunft."

Es gilt das gesprochene Wort.

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