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Wenigstens würdig bestatten
von Ulrike Greim
Autor
10.05.2025 06:35
Mit dem Kriegsende begann das schwierige Kapitel der Aufarbeitung. In Lehnstedt bei Weimar wird bis heute um das Gedenken gerungen – u.a. mit Gedenkbäumen, die immer wieder neu gepflanzt werden müssen.
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Es war ein Sonntag vor 80 Jahren, Anfang Mai 1945. In Thüringen ist es allen klar, dass sich jetzt, wo die Amerikaner da sind, vieles ändert. Dass der Wind anders weht. Dass unangenehme Fragen gestellt werden. Wer was gesehen hat. Wer geholfen hat. Wer war involviert, wer dagegen. Man sprach ja nicht darüber, aber natürlich wusste man, was da oben auf dem Ettersberg passiert ist. Das Konzentrationslager Buchenwald hatte ein Krematorium. Und die Asche der verbrannten Gefangenen war weit ins Weimarer Land geflogen. Und nun sind die Häftlinge, die überlebt haben, frei. Und sie reden.

An jenem Sonntag im Mai versammeln sich 350 Menschen am Ortsausgang von Lehnstedt bei Weimar zu einer Beerdigung. Nicht ganz freiwillig. Der Bürgermeister hatte vorher einen Aushang gemacht. Er erwarte, dass das ganze Dorf teilnimmt. Es würde als Beweis dafür gelten, dass man an den Verbrechen der "SS-Bestien" nicht mitschuldig sei. So heißt es in einer Dokumentation der Gedenkstätte Buchenwald.

Viele sind gekommen. Männer, Frauen, Kinder.

Was war passiert?

Vier Wochen vorher war wieder einmal ein Zug Häftlinge durch das Dorf gekommen. Aus Buchenwald. Einer der Züge, die man später Todesmärsche nennen würde. Weil es schon Abend war, hatten sie in einer Scheune im Dorf übernachten sollen. Sie bekamen weder Wasser noch Brot, Mitleid ließen die SS-Männer und ansässige Nationalsozialisten nicht zu. War es, weil gegen Kriegsende niemand mehr genau hinschaute, und scheinbar alles erlaubt war? War es Blutrausch? Jedenfalls schoss die SS in die dicht zusammengedrängten Menschen. Die Leichen wurden anschließend auf einem benachbarten Feld verscharrt.

Das war Anfang April. Am 11. April waren die Amis gekommen. Und nun war Buchenwald frei. Einige Häftlinge hatten überlebt – auch diesen besagten Todesmarsch. Anfang Mai kamen sie in das Dorf Lehnstedt zurück und forderten, die Toten auszugraben, zu identifizieren und zu beerdigen. Zehn bekannte Nationalsozialisten aus dem Dorf mussten das tun.

Ein Foto zeigt frische Holzsärge in einem offenen Grab. Davor ein amerikanischer Militärrabbiner mit einem Buch in der Hand. Neben ihm offensichtlich der Bürgermeister. Weiter entfernt irritiert schauende Menschen, auch Kinder.

Heute wird in Lehnstedt immer noch gerungen, ob daran erinnert werden soll oder nicht.

Denn es steht ein Gedenkstein im Ort, vor nicht allzu langer Zeit wurde dort auch ein Baum gepflanzt. Ein Baum aus dem Projekt "1000 Buchen", die an die Todesmärsche erinnern. Teil des lebendigen Erinnerungsweges.

Heimlich haben bisher Unbekannte diesen Baum mutwillig abgebrochen. Ein beschämendes und jämmerliches Bild.

Es wurde bekannt, viele haben jetzt erst recht wieder gespendet, im Oktober 2023 dann wurde ein neuer Baum gepflanzt. Besser gesagt: zwei. Zwei Kugel-Ahorne.

Sie mögen blühen und reiche Krone tragen.

Denn wir brauchen Bäume, die zu uns sprechen und Steine, die schreien. Und wir brauchen Menschen, die erzählen, wie es war. So detailliert, wie möglich. Damit sich niemand die Hände in Unschuld waschen kann.

Und auch, damit wir die Mechanismen verstehen, wer wann zu viel Macht bekommt. Wie wir Solidarität lernen. Damit wir wissen, wem wir die Hand reichen müssen. Wem wir widerstehen müssen, auch wenn es uns etwas kostet.

Es gilt das gesprochene Wort.

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