Wahres Manns-Bild

Morgenandacht
Wahres Manns-Bild
08.09.2015 - 06:35
17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

„Glauben Sie nicht was Sie sehen, diese Bilder lügen.“

 

Diesen Rat hat eine Zeitung vor ein paar Wochen uns sehr dringend gemacht. Als Lebenshaltung fürs 21. Jahrhundert.

 

Warum soll ich Bildern nicht mehr trauen, und das heißt ja also, meinen Augen nicht mehr? Habe ich doch mal gelernt: Ich glaube nur, was ich sehe. Warum soll falsch sein, wonach ich so lange gelebt habe?

Weil viele Bildermacher in der digitalen Zeit nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern sie verfälschen: Relativ harmlos ist noch, dass Haut einfach glatt retuschiert wird, in andere Fotos werden Motive einmontiert oder ganz einfach entfernt, was man nicht haben will. Bilder werden propagandistisch beschnitten, neu montiert.

Sie sollen die einen vergöttern, die anderen, die Missliebigen, werden dämonisiert. Es war noch nie so einfach, Fotos, die angeblich die Wirklichkeit zeigen, zu bearbeiten, wie in unserer digitalen Zeit.

Bilder haben Macht. Sie drücken sich ein in mein Denken und Fühlen. Sie bestimmen, wem ich vertraue, wie ich handle. Darum hat diese Zeitung die Parole ausgegeben: ‚Glauben Sie nicht, was Sie sehen.‘ Nicht in digitalen Zeiten.

 

Aber ist das wirklich neu? Dass Bilder Wirklichkeit prägen, auch verfälschen?

 

Ich glaube nicht. Mir ist das deutlich geworden, als ich wieder auf „Adam“ in der Bibel gestoßen bin.

„Adam“: Ich höre dieses Wort, diesen Namen und sofort steht da auch ein Bild vor mir: Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle: Der Schöpfer zur Rechten, dieser kraftvolle Körper mit dem Charakterkopf, den Arm weit aus gestreckt hin zu Adam, beinahe berührt er mit seinem Finger die Hand des Menschen. Über die kleine Distanz zwischen Gott und Adam springt der Funke des Lebens über.

Ein Bild wie ein Statement. Es hat das Gottesbild geprägt und vielleicht noch mehr das Menschenbild.

Unhinterfragbar sagt es: Adam ist Mensch ist Mann. So hat Michelangelo die endgültige Ikone geschaffen, wie Jahrhunderte Gott und Mensch gesehen haben. Die Welt ist Männersache. Mann-Gott und Mann-Mensch.

 

Nein, Bilder lügen nicht erst jetzt, sie tun das seit langem. Mit Erfolg. Und prägen. Für viele Menschen war das Michelangelofresko deckungsgleich mit dem Bild des Menschen in der Bibel.

Der Haken: Die biblische Schöpfungsgeschichte sieht anders aus als bei Michelangelo. Sie stammt auch aus einer von Männern geprägten Welt. Und trotzdem wählt sie ihre Worte differenzierter, sie beschreibt uns Menschen komplexer, offener, nicht so plakativ männlich wie  Michelangelos Bild.

 

Nah am Hebräischen Wortlaut übersetzt, heißt es etwa so:

 

„Und die Gottheit schuf Adam zu ihrem Bild,

zu ihrem Bild schuf sie ihn,

schuf sie, männlich und weiblich.“

 

Komplexer sind vor allem zwei Stellen: Das Wort für Gott steht im Plural. Also keineswegs eindeutig „ein Gott wie ein Mann“. Eher eine Gottheit, keines bestimmten Geschlechts.

Und genauso komplex ist die Menschenschöpfung. Erst heißt es: „Gott schuf ihn“, und im selben Atemzug, er schuf sie ,männlich und weiblich.‘ Adam, weiblich und männlich.

Michelangelos Fresko zeigt, wie machtvoll man diese komplexen Worte übermalt hat. So dass ein ganz anderes Bild entsteht. Fast wie eine Neukonstruktion. Die feine und kluge Komplexität der Worte in der Bibel wurde eindeutig gemacht und damit auch verfälscht. Gott wurde zum Mann vereinheitlicht und die „weibliche“ Adam: Fehlanzeige.

 

„Glauben Sie nicht, was Sie sehen.“

Dieser Rat muss also nicht neu erfunden werden. Aber immer wieder neu beherzigt und geübt: Die Wirklichkeit ist wahrlich komplexer als ihre Bilder.

Nehmen wir das Manns-Bild: Auch als starker Mann bin ich nicht „der Mensch.“ Natürlich nicht. Auch als Mann werde ich Mensch erst, wenn ich anderen begegne. Auch dem anderen Geschlecht.

 

Und Gott? Mann, Frau?

 

Von ihm oder ihr sagt die Bibel einmal: „Gott bin ich, nicht Mann, nicht Frau.“ Stattdessen klingt für mich dieses Wort nach: ‚Unendlich lebendig. In ihr und von ihm ist alles, was lebt. Sogar der Mann.‘

17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann