Heilige Nacht – Gott berührt, wo er ersehnt wird

Spurensuche
Heilige Nacht – Gott berührt, wo er ersehnt wird
22.12.2018 - 10:00
19.07.2019
Petra Schulze
Über die Sendung

Noch zwei Mal schlafen, dann ist es soweit. Heiligabend. Heilige Nacht. Heilig. Ein schönes Wort. Geheimnisvoll. Aufregend. Im jüdischen Glauben meint es das Besondere.

 

Als Kind war ich ganz nah dran, an diesem Geheimnis.

Ich sah und spürte, dass da etwas Großes um uns herum ist.

Die Großmütter nannten das: Gott.

In jedem Regenbogen, in jedem rotgefärbten Himmel – „das Christkind backt Kuchen“ ,

in jeder Blume im Garten, in jedem Baum im Wald,

im Bach auf unserem Grundstück mit den kleinen Kaulquappen, in unserer Katze,

überall entdeckte ich göttliche Zeichen.

Ging die Sonne rot auf, sagte ich:

Guten Morgen, lieber Gott, wie schön. Das ist ein Zeichen: So habe ich heute einen guten Tag.

 

Und nun die Heilige Nacht.

Das Schöne an der Heiligen Nacht ist ja, dass Gott in alle Häuser und Zimmer kommt.

Dass das Geheimnis alles umschwebt. Alles umfängt. Und verwandeln will.

Das ist nötig. Denn meist ist die Welt ja ganz und gar nicht heilig.

 

Ich erinnere mich gut.

Heilig Abend. Mein Bruder und ich werden wie jedes Jahr aus dem Wohnzimmer ausgesperrt.

Der Baum wird geschmückt und wir dürfen ihn erst am Nachmittag zur Bescherung sehen. Dann wird er glänzen und funkeln. Darauf habe ich mich jedes Jahr gefreut. Und so läuft er ab, unser Heiliger Abend – wenn alles nach Plan geht:

Mutti klingelt mit dem Glöckchen, Glockenklang von der Schallplatte. Wir treten ein.

Der Baum funkelt vor Kerzen, Lametta und Kugeln – wie ein Zeichen.

Ein magischer Moment.

Das Geheimnis der Weihnacht kommt in einem Lichtergewand.

Und unter dem Baum, in der Krippe: das winzige Jesuskind.

Um das geht es bei diesem Fest. Und um mich. Und alle.

Keiner ist unverwundbar. Auch nicht, wenn er erwachsen ist.

Keiner ist nur stark. Jeder und jede ist mal schwach, hilflos und traurig. Oder wütend.

Der magische Moment – er braucht innere und äußere Vorbereitung.

 

Doch noch sind wir davor. Noch sind wir in der Vorbereitung.

Dies wird eine ganz und gar nicht heilige Nacht, sie droht zur Hölle zu werden.

Papa liegt auf der Couch und schnarcht. Weil er getrunken hat. Er soll den Baum schmücken.

Braucht aber eine kleine Ruhephase. Er war in der Kneipe, um dem Aufräumen zu Hause zu entgehen. Jetzt ist er müde.

Mutter und Oma schuften derweil in der Küche, damit der Heilige Abend und die Feiertage schön werden.

Die Tür zum Wohnzimmer ist zu.

Die andere Oma kommt und nimmt uns mit zu sich. Sie wohnt mit dem Opa nicht weit von uns.

Mein Bruder und ich spielen und freuen uns auf den magischen Moment und die Geschenke.

Doch dann klingelt das Telefon. Aufgeregte Stimmen.

„Ihr müsst noch ein bisschen hierbleiben. Zu Hause ist etwas passiert.“

Irgendwann stehen wir dann vor der Tür zum Wohnzimmer, wo der geschmückte Tannenbaum uns erwartet. Das Weihnachtsglöckchen in der Hand der Mutter und die Glocken von der Schallplatte erklingen. Es duftet heute nicht nach Kerzenwachs und Tanne – sondern nach Rauch. Beißender Qualm hat das ganze Zimmer und die funkelnde Tanne eingehüllt.

Papa war mit der Zigarette eingeschlafen und nun ist ein riesiges Loch in der Couch. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert.

Heilige Momente – Heiliger Abend in der gar nicht heilen, kaputten Welt.

Vielleicht rührt die Sehnsucht nach Heiligkeit gerade von daher Von dem Dreck und dem Schmutz, dem Versagen, der Bosheit und der Gier, der Schuld und der Unfähigkeit, mit dem Leben klar zu kommen.

Über allem schwebt die Sehnsucht, der Wunsch, das Geheimnis greifen zu können. Das Geheimnis, das Heil verspricht – für alle Welt. Heilung. Wunden verheilen. Schuld wird ausgelöscht. Schmerz in Freude verwandelt. Der Schmutz hinweggefegt. Funkelnde Klarheit lässt die Welt erstrahlen und auch mich. Liebevoll sieht Gott uns an – in jedem Blick, den wir uns schenken. Und sagen: Wir feiern diese Heilige Nacht. Mitten im Schmutz. Im Versagen. Im Streit.

 Wir strengen uns an. Wir reißen uns zusammen. Und feiern, deine Geburt, Gott.

Wenigstens dieser eine heilige Moment soll uns alle berühren.

Den ersehnen wir das ganze Jahr über und erinnern uns daran.

Gerade deshalb: in beißendem Rauch deine Ankunft. Hier und jetzt.

Für einen winzigen Moment fühlen wir dich. Alle. Den Glockenklang lang und für die Dauer des ersten Liedes. Stille Nacht, heilige Nacht. Danke, Gott.

19.07.2019
Petra Schulze