Dank und Bitte am Morgen

Wort zum Tage
Dank und Bitte am Morgen
17.03.2015 - 06:23
30.03.2015
Pastor i.R. Diederich Lüken

Ein morgendlicher Ritus, den ich seit meiner Jugendzeit pflege, ist das Einschalten des Radios, gleich nach dem Aufwachen. Dafür habe ich ein Radio neben meinem Bett stehen. Es erklingt Musik, ein Geistlicher spricht das Wort zum Tage, und nun kommen die Nachrichten. Ich kann nicht hellsehen und weiß nicht, welche Nachrichten gleich zu hören sein werden. Aber eines weiß ich sehr wohl: dass sie meistens dazu angetan sind, die gute Morgenlaune zu verderben. Ich brauche nur die Stichworte aufzuzählen, und jeder weiß, worum es sich handelt: die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine. Der gewaltsame Kampf des IS um ein Kalifat im Sinne eines Islam aus dem 7. Jahrhundert. Boko haram in Nigeria. Kriegsdrohungen aus Nordkorea. Die offenbar unausrottbare Pest des Antisemitismus, die wieder um sich greift. Christenverfolgungen in verschiedenen Teilen der Welt. Und so weiter. Da wirkt die schlechteste Wettervorhersage immer noch wie eine Erlösung.

 

Und mir wird bewusst: Wir leben auf einer Insel der Seligen. Nirgendwo auf der Welt geht es den Menschen so gut wie in Mittel- und Nordeuropa. Selbst die Armen, um die wir uns hier völlig zu Recht Sorgen machen, sind im weltweiten Maßstab reich. Das alles ist zunächst ein Grund für große Dankbarkeit. Denn wir haben es nicht selbst verdient, in einem Land zu leben, in dem Frieden und Demokratie herrschen, in dem gut gewirtschaftet worden ist und in dem auch die sozialen Bedingungen günstig sind. Mir kommt dabei ein Wort aus der Bibel in den Sinn: „Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß“ (Klagelieder Jeremias 3,22-23). Der Autor dieses Spruchs sagt das mit der zerstörten Hauptstadt Jerusalem vor Augen. Trotzdem schreibt er sein Leben und Wirken der Güte Gottes zu.

 

Um wieviel mehr müssten wir von Gottes Güte reden, die wir im Frieden leben, Reichtum auf Reichtum häufen und von Genuss zu Genuss eilen. Warum will uns der Dank manchmal im Halse stecken bleiben? Ich denke, weil viele Menschen intuitiv spüren, dass es zynisch ist, dankbar für den Frieden zu sein und anderswo in der Welt kämpfen Menschen verzweifelt um ihr Überleben. Das heißt, dass unser Dankgebet, so wir es denn wirklich sprechen, verbunden werden muss mit der heißen Bitte um Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Ich warte auf den Morgen, an dem ich nach den Nachrichten zufrieden aufstehen kann in dem Wissen: Die Güte des Herrn und die Bemühungen der Menschen haben bewirkt, dass es heute ein bisschen besser in der Welt aussieht als gestern.

30.03.2015
Pastor i.R. Diederich Lüken