An der Seite der Kleinen und Geringen

Wort zum Tage
An der Seite der Kleinen und Geringen
22.07.2015 - 06:23
23.06.2015
Pfarrer Rainer Stuhlmann

Im Zug von Tel Aviv nach Haifa saßen im Abteil vor mir israelische Soldaten in Uniform. Sie sprachen Hebräisch miteinander. Plötzlich klingelte bei einem das Smartphone und…  ich traute meinen Ohren nicht. Er sprach ein unverwechselbares lupenreines Schwäbisch. Ein Schwabe in Israels Armee? Wenn er in Benjamina aussteigt, so dachte ich, dann kenne ich des Rätsels Lösung. Und tatsächlich!

 

Es ist die Bahnstation auch für einen Kibbuz, der vor über fünfzig Jahren von frommen Christen aus Württemberg gegründet wurde. Beth-El haben sie ihn genannt. Haus Gottes. Sie möchten, dass nicht sie, sondern der Unverfügbare Herr im Hause auch ihres Kibbuz ist. Rund achthundert Menschen gehören heute dazu, die Leben und Arbeit miteinander teilen. Keiner von ihnen hat Privateigentum.

 

Als die Juden vor über zweitausend Jahren in die Babylonische Gefangenschaft geführt wurden, fühlten sie sich klein gemacht und gering geschätzt. In dieser Situation hörten sie durch ihre Propheten die Stimme Gottes, die sie aufrichtete und stark machte: „Ich will sie mehren und nicht mindern, sie herrlich machen und nicht geringer.“ (Jeremia 30,19)

 

Dieser Botschaft öffnen die Christen aus Beth-El ihre Ohren. Sie wollen die Klein Gemachten stärken und die Gering Geschätzten ehren. Sie wollen den jungen jüdischen Staat unterstützen, die einzige Zufluchtsstätte für die vom weltweiten Antisemitismus Bedrohten. Anders als die Evangelikalen aus Amerika wollen sie die Juden nicht zum Christentum bekehren.

 

Sie sind auch keine politischen Aktivisten und doch setzen sie kritische Akzente. Die jungen Männer lassen sie zur Armee gehen. Denn sie leben in einem Staat, dessen Armee auch sie beschützt. Und die Armee sichert ihnen Plätze zu, an denen sie nicht mit Waffen kämpfen müssen.

 

Kurz vor dem Ersten Golfkrieg, als Israel mit Raketen aus dem Irak bedroht wurde, haben die Christen in Beth-El Filter für Bunkerbelüftungen erfunden und gebaut, die Menschen vor atomaren, biologischen und chemischen Waffen schützen. Sie produzieren Waffen, die nicht angreifen können, sondern nur verteidigen. Inzwischen haben sie damit über fünfhundert Arbeitsplätze für die jüdische und arabische Bevölkerung geschaffen.

 

Solche Unterstützung ist auch problematisch. Natürlich. Nur zu schnell kann die Herrlichkeit Israels zur Selbstherrlichkeit werden, die Erstarkung zum Übermut, die Ausdehnung zur Eroberung. Viele Jüdinnen und Juden in Israel und außerhalb sehen diese Gefahr längst gegeben. Ihre Solidarität ist kritische Solidarität. Denn wer dem Wort des lebendigen Gottes traut, steht auch an der Seite derer, die von Israel klein gemacht und gering geschätzt werden.

23.06.2015
Pfarrer Rainer Stuhlmann