Der Zufall und der liebe Gott

Wort zum Tage
Der Zufall und der liebe Gott
12.03.2020 - 06:20
30.01.2020
Diederich Lüken
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In dem Sketch „Die Orchesterprobe“ treibt der bayrische Komiker Karl Valentin einen Schabernack nach dem anderen. Zum Höhepunkt kommt es, wenn er dem Dirigenten von einem Zufall erzählt, den er erlebt hat: „Im selben Moment, wo wir von dem Radfahrer geredet haben, ist einer gekommen.“ Der Dirigent antwortet: „Das ist doch kein Zufall!“ Valentin bleibt nur die resignierende Feststellung: „Sie haben halt eine andre Weltanschauung.“ An der Frage, was ein Zufall ist oder was nicht, können sich schon die Gemüter erhitzen. Ein Fahrrad zu erblicken in dem Moment, wenn man an ein Fahrrad denkt, ist kein Zufall. Es gibt dafür zu viele Fahrräder. Etwas Anderes ist es schon, wenn man ein Flugzeug sieht, bemerkt der Dirigent zu Karl Valentin. Es gibt keinen Grund dafür, dass das Flugzeug gerade dann auftaucht, wenn jemand an ein Flugzeug denkt. Es gibt einfach zu wenige davon, jedenfalls zur Zeit Karl Valentins. Der Zufall verbindet zwei Geschehnisse, die nicht voneinander abhängig sind, aber aufeinandertreffen, ohne dass es dafür einen Grund gibt. Das ist das Besondere am Zufall. Ihm haftet das Unvorhersehbare an. Einige Zufälle sind dabei auch hilfreich. Vor Jahren war ich mit dem Fahrrad unterwegs. Ich hatte ein gutes Tempo drauf, als in meiner Jackentasche das Handy klingelte. Ich war töricht genug, es während der Fahrt hervorzukramen und das Gespräch anzunehmen. Der Weg machte eine Biegung, der Schotter spritzte, ich verlor das Gleichgewicht und fiel um. Was tun? Ich war zunächst ratlos, weil ich merkte, dass ich an der Stirn blutete. Aber die Hilfe nahte schnell. Zufällig stand von ein paar Büschen verborgen ein Polizeiauto in meiner Nähe. Die Polizisten kamen herausgesprungen, hoben mich mitsamt dem Fahrrad auf und beförderten mich flugs in ein Krankenhaus, wo ich allerdings nach wenigen Stunden entlassen wurde. Aber nicht nur solche alltäglichen Erlebnisse sind von Zufällen bestimmt. Unser ganzes Leben scheint auf Zufall zu beruhen. Wir haben nicht einmal Einfluss darauf, überhaupt geboren zu werden. Unser Geschlecht ist zufällig, Ort und Zeit unserer Geburt sind zufällig. Doch muss, so sagt es eine rabbinische Quelle, jeder Zufall an den Augen Gottes vorbei. Es ist dann kein Zufall mehr, wenn wir leben. Gott hat es durch seinen Willen angenommen und geheiligt. Doch ist es nicht immer und für jeden ersichtlich, dass sich hinter dem Zufall Gott verborgen hält. „Der Zufall ist das Pseudonym, das der liebe Gott wählt, wenn er inkognito bleiben will.“ So sagte es Albert Schweitzer.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Diederich Lüken