Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen
In meiner Jackentasche befindet sich eine Walnuss. Sie wird auch noch lange drinbleiben. Nur ab und zu, wenn ich mal in die Tasche greife, werde ich sie ans Licht holen. Dann werde ich mich daran erinnern, wie sie da hineingekommen ist:
Ich stehe mit ein paar Leuten vor der Kirche. Da kommt ein kleines Mädchen heran. Sie tanzt mir mehr entgegen als dass sie läuft. Sie bleibt stehen, öffnet eines ihrer kleinen Fäustchen. Da liegt sie drin, die Walnuss. Sie hält sie mir hin und sagt: „Die ist für dich!“ Und bevor ich noch danke sagen kann, ist sie schon um die nächste Ecke gewitscht. Ich kenne sie gar nicht, und sie kennt mich nur aus diesem Gottesdienst.
Mir fällt ein: Wie viele Walnüsse habe ich nicht schon geknackt! Die in meiner Hand unterscheidet sich in keiner Weise von ihnen. Trotzdem ist sie jetzt eine besondere Walnuss. Ich werde sie niemals knacken. Denn wenn ich sie anschaue, sehe ich wieder das kleine Mädchen vor mir, ihre blitzenden Augen, ihre ganze Unbeschwertheit. Und ich fühle noch einmal die Freude darüber, dass ein Kind mir so etwas Schönes schenkt.
Deshalb liebe ich die Walnuss in meiner Jackentasche. Es gibt nicht viele Dinge, die mir so wertvoll sind wie sie. Denn sie drückt für mich Liebe aus. Und so wird sie von einem unbedeutenden toten Gegenstand zu etwas Lebendigem. Die Liebe macht es. So ist es übrigens auch mit den Menschen. Wieviel Mühe geben sich doch viele, um etwas Besonderes zu sein oder wenigstens so zu scheinen. Die Walnuss zeigt mir: das ist gar nicht nötig! Ich muss nicht erst etwas Bedeutendes werden, um liebenswert zu sein. Es genügt, dass es mich gibt. Allein dadurch, dass jemand mich liebt, hebt er mich aus der Masse der inzwischen acht Milliarden Mitmenschen heraus. Wenn ich auch nur Mittelmaß bin, wenn ich auch nicht besonders schön, besonders reich und nicht besonders intelligent bin – es genügt, dass ich da bin und jemand mich liebt, um aus mir etwas Besonderes zu machen. Dieses Kind zum Beispiel hat mir das mit dieser Walnuss gezeigt.
Und wenn Gott mich liebt, dann ist es noch besser. Es kann sein, dass der Mensch, der mich liebt, sich wieder abwendet von mir. An Gottes Liebe aber ändert sich nichts. Bei ihm bin ich immer etwas Besonderes. Das gilt allerdings nicht nur für mich. Für ihn ist jeder Mensch etwas ganz Besonderes. Diesen Blick möchte ich mir bewahren.
Es gilt das gesprochene Wort.