Reisen

Wort zum Tage
Reisen
13.02.2021 - 06:20
04.02.2021
Pastor Diederich Lüken
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Ich wurde als Teenager gefragt, was ich für Hobbies hätte. Ich nannte dies und das, schließlich auch: Reisen! Dabei war ich aus meiner Heimat in Ostfriesland kaum herausgekommen. Ich hatte keine Ahnung, was reisen überhaupt bedeutet.

Später habe ich dieses Manko ausgeglichen. Ich habe viele schöne Reisen gemacht, habe etwas von der Welt gesehen. Ich habe den Anfang eines Gedichts von Kurt Tucholsky beherzigt: „Fahre mit der Eisenbahn, fahre Junge fahre.“ Oft bin ich auch mit dem Auto unterwegs gewesen, ausnahmsweise auch mit dem Flugzeug.

Heute ist das Reisen für mich als Dialysepatient mit so vielen Umständen verbunden, dass ich mir dreimal überlege, ob eine Reise wirklich notwendig ist. Und in der Corona-Zeit funktioniert das Reisen ohnehin nur sehr eingeschränkt. Meistens bleibe ich zu Hause. Dabei habe ich wunderbare Erinnerungen an Städte und Landschaften, die ich aufgesucht habe. Mein Leben wäre ärmer ohne diese Reisen; und ohne die Erinnerungen daran.

Kurt Tucholsky kommt in seinem Gedicht am Ende zu der Einsicht: „Wie du auch die Welt durchflitzt ohne Rast und Ruh-: Hinten auf dem Puffer sitzt: du.“ Wohin die Züge auch immer fahren, in denen ich verreise, ich nehme mich selbst überallhin mit. Möglich, dass sich mein Horizont erweitert. Möglich, dass ich neue Kenntnisse und Erkenntnisse erwerbe. Aber ich bleibe mit meinen Schwächen und Stärken, mit meinen Vorlieben und meinen Aversionen, mit einem Wort: mit meinem Charakter letztlich immer derselbe. Da wäre es ratsam, mit einer Reise nach innen zu beginnen. Augustinus, der große Kirchenvater, schreibt dazu: „Die Menschen machen weite Reisen, um zu staunen über die Höhe der Berge, über die riesigen Wellen des Meeres, über die Länge der Flüsse, über die Weite des Ozeans und über die Kreisbewegung der Sterne. An sich selbst aber gehen sie vorbei, ohne zu staunen.“

Dabei gibt es so viel zu staunen. Dass ich lebe, dass ich bin, ist schon des Staunens wert. Wie fein alles im Körper aufeinander abgestimmt ist, ist zu bewundern. Noch wunderbarer ist, was alles in einen menschlichen Schädel passt. Wenn wir uns dessen bewusst werden, hat sich die Reise nach Innen schon gelohnt. Sie kann letztendlich zu Gott, dem Schöpfer des Menschen, führen. In einem Psalm heißt es dazu: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.“

Ich glaube: Wer offen ist für das Staunenswerte seines eigenen Daseins, kann auch offen werden für die Wunder dieser Welt. Und wer die Reise ins Innen seiner selbst immer wieder antritt, kann auch die Reisen zu den Reisezielen besser verstehen und genießen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

04.02.2021
Pastor Diederich Lüken