Christen sollen ja immer fröhlich sein. Wenn wir uns mit Verwandten trafen, sangen wir oft ein entsprechendes Lied. Der Kehrvers lautete: „Immer fröhlich, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein!“ Wenn die Sonne mal nicht schien, war es uns Kindern wichtig, den Kehrvers folgendermaßen abzuwandeln: „Immer fröhlich, immer fröhlich, wenn auch gar kein Sonnenschein!“ Davon Übriggeblieben ist bei manchen erwachsenen Christen ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht fröhlich sind, und das berühmte Zitat Friedrich Nietzsches: „Die Christen müssten mir erlöster aussehen. Bessere Lieder müssten sie mir singen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.“ Darin, dass die Christen erlöster, also fröhlicher aussehen müssten, liegt ein wahrer Kern. Immerhin haben Christen die Überzeugung, dass sie von Gott geliebt und auf ewig angenommen sind. Da erscheint es mir höchst unpassend, mit verbissener Miene durch die Welt zu laufen und damit die Freundlichkeit Gottes zu verleugnen. Aber andererseits kennen natürlich auch die Christen die Abgründe des Lebens. Würden sie dann noch zwanghaft ihre Mundwinkel nach oben ziehen, wäre das pure Heuchelei, und das war es ja nicht, was Nietzsche von den Christen erwartete. Heuchelei ist sicher keine Eigenschaft, die einen Christen auszeichnet. Im Gegenteil, christlicher Glaube hat es mit Authentizität zu tun, mit Ehrlichkeit gegenüber Gott, gegenüber sich selbst und gegenüber den Mimenschen. Erst in dieser Ehrlichkeit erschließt es sich, dass wir tatsächlich Erlöste sind - nicht etwa aufgrund unseres erlösten Aussehens, sondern durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Mit der Kreuzigung Jesu im Zentrum des christlichen Glaubens ist dann auch gewährleistet, dass Leiden, Schmerz und Tod und die Trauer darüber dem christlichen Glauben keineswegs fremd sind. Im Gegenteil; das Leiden Jesu zeigt, dass Gott mit unserem menschlichen Leid tief verbunden ist. Das ist mir besonders bewusst geworden, als mir überhaupt nicht mehr nach einem erlösten Aussehen zumute war. Das geschah, als ich an einer schweren Depression erkrankte. Die erste Reaktion hieß: Niemand darf das wissen. Alle werden sie mir Vorwürfe machen, mich bei meinem Glauben und meinem Beruf behaften und mir kein Wort mehr glauben. Christen müssen doch fröhlich sein. Aber ich entschloss mich dann, sehr offen mit meiner Erkrankung umzugehen. Als ich nach vielen Wochen wieder Licht am Ende des Tunnels sah, kamen einige meiner Gemeindeglieder auf mich zu und gestanden mir Ihre eigene Depression ein. Ich konnte Ihnen mit der Adresse meines Arztes helfen. Vorwürfe hat mir niemand gemacht. Aber ihre Freude haben sie mir mitgeteilt, als ich wieder fröhlicher sein und erlöster aussehen konnte.
Wort zum Tage 07. 01.
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